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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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Veränderung vorgegangen sein, wegen der sie mir später
     so unverständlich wurde. Dann verschwand Ervin eines Tages. Von Tamás erfuhr ich, daß er Mönch geworden war. Den Abschiedsbrief,
     in dem er seinen Entschluß mitteilte, hat Tamás vernichtet. Ob er Ervins Mönchsnamen und sein Kloster kannte, ist ein Geheimnis,
     das er mit sich ins Grab genommen hat. Vielleicht hat er es Éva verraten.
    Ervin war bestimmt nicht Mönch geworden, weil er Éva nicht heiraten durfte. Wir hatten zuvor schon oft über das mönchische
     Leben gesprochen, und ich weiß, daß Ervins Religiosität zu tief war, als daß er ohne ein deutliches Zeichen der inneren Berufung, |49| bloß aus romantischer Verzweiflung diesen Schritt getan hätte. Wahrscheinlich sah er im Verbot, Éva zu heiraten, einen Fingerzeig
     von oben. Doch daß er uns so plötzlich verließ, war sicher eine Flucht vor Éva, vor der Versuchung, die sie für ihn darstellte.
     So tat er, fluchtartig zwar und vielleicht ein bißchen wie Joseph, aber immerhin, er tat, wovon wir damals so oft phantasiert
     hatten: Er brachte Gott seine Jugend als unbeflecktes Opfer dar.«
    »Ich verstehe nur eines nicht«, sagte Erzsi,»wenn er doch für die Liebe so disponiert war, wieso mußte er dieses Opfer bringen?«
    »Liebes, in der Seele gibt es Gegensätze. Die großen Asketen sind nicht leidenschaftslose, kalte Menschen, sondern die feurigsten,
     die schon wissen, worauf sie verzichten. Deshalb gestattet es die Kirche einem Eunuch nicht, Priester zu werden.«
    »Und was sagte Éva zu alldem?«
    »Éva blieb allein, und von da an war nichts mehr mit ihr anzufangen. Zu jener Zeit war Budapest in den Händen von Schiebern
     und Entente-Offizieren. Éva geriet irgendwie in den Kreis dieser Offiziere. Sie konnte Sprachen, und in ihrem Benehmen war
     nichts von ländlich-markigem Ungarntum, sondern etwas echt Weltstädtisches. Soviel ich weiß, stand sie hoch im Kurs. Und so
     wurde sie von einem Tag auf den andern vom kleinen Backfisch zu einer wunderschönen Frau. Und ihr Blick, bis dahin offen und
     kameradschaftlich, veränderte sich: Sie schaute immer drein, als horchte sie auf ferne, leise Stimmen.
    Diese letzte Epoche wurde von János dominiert. Éva brauchte nämlich Geld, um unter den eleganten Menschen stilvoll auftreten
     zu können. Sie konnte sich zwar sehr geschickt aus nichts etwas Elegantes zusammenzaubern, aber auch für dieses Nichts brauchte
     es ein bißchen Geld. Da kam János Szepetneki ins Spiel. Er brachte es immer fertig, ihr Geld zu beschaffen.Wie, das wußte
     nur er. Oft machte er es genau bei den Offizieren locker, mit denen Éva tanzte. ›Ich kassiere das Honorar für die Eskorte‹,
     sagte er zynisch.Wir anderen redeten da auch schon so, wir paßten uns immer dem Stil des Anführers an.
    János’ skrupellose Methoden gefielen mir gar nicht. Zum Beispiel gefiel mir nicht, daß er eines Tages bei Herrn Reich, dem |50| alten Buchhalter in der Firma meines Vaters, auftauchte und eine fürchterlich komplizierte Geschichte vortrug, in der meine
     Kartenschulden und mein geplanter Selbstmord vorkamen, womit er eine recht ansehnliche Summe aus ihm herauspreßte. Später
     mußte ich natürlich die Kartenschulden auf mich nehmen, obwohl ich in meinem Leben nie eine Karte in der Hand hatte.
    Und ganz besonders mißfiel es mir, als er meine goldene Uhr stahl. Das geschah anläßlich einer großen Lustbarkeit, irgendwo
     draußen, in einer damals modischen Gartenwirtschaft, deren Namen ich vergessen habe. Wir waren viele, nämlich Évas Gesellschaft,
     dazu zwei, drei ausländische Offiziere, etliche durch die Inflation reichgewordene junge Männer, merkwürdige Frauen in der
     gewagten Aufmachung jener Jahre, und damit meine ich nicht nur die Kleider. Mein Untergangsgefühl war schon dadurch geweckt,
     daß Tamás und ich in eine so wenig zu uns passende Gesellschaft geraten waren, unter Menschen, mit denen wir nichts anderes
     gemeinsam hatten als das Gefühl, daß jetzt sowieso schon alles gleich war. Denn damals hatte nicht mehr nur ich dieses Gefühl,
     sondern die ganze Stadt, es lag in der Luft. Die Menschen hatten massenhaft Geld, und sie wußten, daß es nichts nützte, daß
     es von einem Tag auf den andern verlorengehen würde; wie ein Kronleuchter hing die Katastrophe über der Gartenwirtschaft.
    Es waren apokalyptische Zeiten. Ich weiß gar nicht, ob wir noch nüchtern waren, als wir uns zum Trinken hinsetzten. Ich erinnere
     mich eher so, als

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