Reise im Mondlicht
genau, welche Wunder und Ekstasen, für ihn das Wort
Toskana bedeutete. Denn da sei kein Stückchen Erde, über das nicht die prächtig kostümierten Truppen der Kaiser und französischen
Könige getrampelt wären, jede Böschung führe hier zu einem ganz wichtigen Ort, und auf eine einzige Florentiner Straße entfalle
mehr Geschichte als zu Hause auf sieben Komitate.
Erzsi hörte ihm entzückt zu. Die Geschichtsträchtigkeit der Toskana war ihr zwar im Augenblick völlig egal, aber sie liebte
Mihály sehr, wenn er so feurig wurde; sie liebte es, daß er genau in solchen Momenten des Schwelgens in der Geschichte, also
wenn er vom Hier und Jetzt am entferntesten war, seine Gleichgültigkeit abwarf und menschlich wurde. Erzsis Sympathie ging |65| bald in stärkere Gefühle über, und sie dachte freudig an die zu erwartende Fortsetzung des Abends, um so mehr, als Mihály
am vorangegangenen Abend schlechter Laune gewesen und gleich eingeschlafen war, oder jedenfalls so getan hatte.
Sie wußte, daß sie Mihálys feurige Stimmung mit Leichtigkeit von der Geschichte auf sich lenken konnte. Es genügte, die Hand
auf seine Hand zu legen und ihm stark in die Augen zu blicken, und Mihály vergaß die Toskana, und sein vom Wein gerötetes
Gesicht wurde von plötzlichem Verlangen ganz blaß. Danach begann er Erzsi den Hof zu machen und ihr zu schmeicheln, als kämpfe
er zum ersten Mal um ihre Liebe.
Wie sonderbar, dachte Erzsi, nach einem Jahr der Intimität macht er mir immer noch auf eine Art den Hof, mit solcher innerer
Unruhe, als wäre er unsicher, ob ich ihn erhöre. Ja, je mehr er mich begehrt, um so distanzierter und gewählter macht er mir
den Hof, schmückt damit gewissermaßen das Begehren, erweist ihm die gebührende Ehre – und die größte Nähe, die Nähe der Körper,
bringt ihn auch nicht näher. Er vermag mich nur zu lieben, wenn er eine Entfernung zwischen uns spürt.
Genauso war es. Mihálys Begehren galt der fernen Erzsi, jener, die ihn einmal verlassen würde und die eher nur noch als schöne
Erinnerung in ihm lebte. Deshalb trank er auch so viel, um diese Stimmung zu bewahren, um sich glauben zu machen, er sei nicht
mit Erzsi zusammen, sondern mit der Erinnerung an sie, mit Erzsi als Geschichte.
Doch inzwischen hatte auch Erzsi getrunken, und auf sie wirkte der Wein immer stark, sie wurde laut, fröhlich und sehr ungeduldig.
Für Mihály war das ziemlich neu, denn vor ihrer Heirat hatte sie wenig Gelegenheit gehabt, sich in der Öffentlichkeit so ungehemmt
zu geben. Mihály fand diese Erzsi höchst anziehend, und beide beeilten sich, ins Hotelzimmer zu kommen.
In dieser Nacht, da Erzsi eine neue Erzsi darstellte und gleichzeitig eine geschichtliche Figur, und da er von der Erinnerung
an die Ulpius und von Patakis Brief erschüttert war, vergaß Mihály ein früheres Gelübde und führte in sein Eheleben Elemente
ein, die er von Erzsi immer hatte fernhalten wollen.Wir denken dabei |66| an die unter Burschen und jungfräulichen Mädchen beliebte Methode, mit der man über einen Umweg und ohne jegliche Verantwortung
zum Genuß kommen kann. Es gibt Menschen, so etwa Mihály, die diesen verantwortungsfreien Genuß lieber haben als die ernsthaften,
sozusagen offiziellen Wonnen. Wobei sich Mihály für diese Neigung maßlos schämte, denn das Unreife, das Halbwüchsige daran
war ihm klar, und als er mit Erzsis durchaus ernsthafter, erwachsener Liebe in Berührung gekommen war, hatte er sich geschworen,
mit ihr immer in den offiziellen Formen der Liebe zu verkehren, so wie es zwei erwachsenen Liebenden geziemt.
Diese Nacht in Florenz war die erste Ausnahme. Erzsi akzeptierte und erwiderte gern Mihálys ungewohnte Zärtlichkeiten, sie
verstand die Sache nicht, und danach verstand sie nicht, warum er so unsäglich verdrossen war und sich schämte.
»Warum denn?« fragte sie. »Es war doch auch so sehr gut, und überhaupt liebe ich dich.«
Darauf schlief sie ein. Jetzt konnte Mihály lange nicht einschlafen. Er hatte das Gefühl, nun habe er endgültig und faktisch
das Scheitern und den Zusammenbruch seiner Ehe anerkannt. Es war klar, er vermochte nicht einmal in der Ehe erwachsen zu sein,
und das Gräßlichste war, daß ihm Erzsi noch nie einen solchen Genuß verschafft hatte wie jetzt, da er sie nicht wie eine reife,
leidenschaftliche Frau geliebt hatte, sondern wie ein unentwickeltes junges Mädchen auf einem Frühlingsausflug.
Und so stand Mihály
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