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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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nicht. Du bist kein Italiener. Du verpaßt noch den Zug.«
    »Ach woher, er steht doch an jeder Station eine Viertelstunde. Servus, Lebwohl.«
    »Servus, Quatschkopf. Schreib mir dann.«
    Mihály stieg aus, bestellte den Kaffee, und während die Espressomaschine das vortreffliche heiße Getränk tropfenweise aus
     sich herauskeuchte, begann er mit einem Einheimischen ein Gespräch über die Sehenswürdigkeiten von Perugia. Dann trank er
     seinen Kaffee.
    »Kommen Sie rasch«, sagte der Einheimische, »der Zug fährt schon.«
    Tatsächlich, als sie auf den Bahnsteig traten, war die Hälfte des Zugs schon aus der Station hinausgefahren, er konnte sich
     gerade noch auf den letzten Wagen schwingen. Es war ein altmodischer Drittklasswagen ohne Gang, jedes Abteil separat.
    Macht nichts, an der nächsten Station laufe ich nach vorn, dachte er.
    »Fahren Sie zum ersten Mal nach Perugia?« fragte der freundliche Einheimische.
    »Nach Perugia? Ich fahre nicht nach Perugia. Leider nicht.«
    »Dann fahren Sie bestimmt nach Ancona weiter. Das ist schade. Steigen Sie lieber in Perugia aus; das ist eine ganz alte Stadt.«
    »Aber ich fahre doch nach Rom«, sagte Mihály. »Nach Rom? Der Herr belieben zu scherzen.«
    »Was tue ich?« fragte Mihály, weil er dachte, er habe ein italienisches Wort falsch verstanden.
    »Sie scherzen«, rief der Italiener. »Dieser Zug fährt nicht nach Rom. Na, Sie sind ein ganz Lustiger«, sagte er mit dem entsprechenden
     italienischen Ausdruck.
    »Aber warum sollte dieser Zug nicht nach Rom fahren? Ich bin in Florenz eingestiegen, zusammen mit meiner Frau, es stand angeschrieben,
     daß er nach Rom fährt.«
    »Aber das ist doch nicht der Zug«, sagte der Italiener so freudig, als hörte er den besten Witz seines Lebens. »Der Zug nach
     Rom |70| ist vorhin schon abgefahren. Das ist der Zug nach Perugia und Ancona. Ganz großartig! Und die Signora reist seelenruhig nach
     Rom weiter!«
    »Toll«, sagte Mihály und blickte ratlos zum Fenster hinaus, auf den Lago di Trasimeno, ob da vielleicht eine Lösung gerudert
     käme.
    Als er in der Nacht seinen Scheck und seinen Paß an sich genommen hatte, war es im – natürlich nicht ganz ernstgemeinten –
     Gedanken gewesen, sie könnten sich unterwegs irgendwie verlieren. Als er in Terontola ausgestiegen war, hatte ihn der Gedanke
     wieder gestreift, er könne Erzsi doch allein weiterfahren lassen. Jetzt aber, da das tatsächlich geschehen war, fühlte er
     sich verunsichert und überrascht. Aber immerhin – es war geschehen!
    »Und was machen Sie jetzt?« fragte der Italiener.
    »Ich steige an der nächsten Station aus.«
    »Aber das ist ein Schnellzug. Bis Perugia hält der nicht.«
    »Dann steige ich eben in Perugia aus.«
    »Na sehen Sie, ich hab’s doch gleich gesagt, daß Sie nach Perugia fahren. Macht nichts, es lohnt sich. Eine ganz alte Stadt.
     Und schauen Sie sich auch die Umgebung an.«
    »Gut«, sagte Mihály, »fahre ich eben nach Perugia.« Doch was fängt Erzsi an? Wahrscheinlich fährt sie weiter nach Rom und
     wartet dort auf den nächsten Zug. Aber möglicherweise steigt sie schon an der nächsten Station aus. Vielleicht fährt sie nach
     Terontola zurück. Auch da wird sie mich nicht finden. Es wird ihr kaum in den Sinn kommen, ich könnte nach Perugia gefahren
     sein.
    Ja, das würde ihr schwerlich in den Sinn kommen. Wenn er jetzt in Perugia ausstieg, würde ihn ein, zwei Tage lang garantiert
     niemand finden. Oder noch länger nicht, wenn er nicht in Perugia blieb, sondern auf einer unwahrscheinlichen Strecke weiterzog.
    Zum Glück habe ich den Paß. Und das Gepäck? Ich kaufe mir dann ein paar Hemden und solche Sachen, Unterwäsche ist in Italien
     billig und gut, ich wollte sowieso welche kaufen. Und das Geld   … wie stehen wir eigentlich mit dem Geld?
    |71| Er nahm seine Brieftasche hervor und fand darin den Scheck der ungarischen Nationalbank.
    Stimmt ja, letzte Nacht   … Ich will den Scheck dann in Perugia einlösen, bestimmt gibt es dort eine Bank, die ihn akzeptiert. Ja genau.
    Er zog sich in eine Ecke zurück und schlief tief ein. Der freundliche Italiener weckte ihn, als sie in Perugia ankamen.

|73| Zweiter Teil
Der Flüchtige
    Tiger, tiger burning bright
    In the forests of the night   …
    William Blake

|75| 1
    Das weite umbrische Land, wo auf einer Felsplatte Perugia liegt und etwas weiter südöstlich das imposante, an den Subasio
     gelehnte weiße Assisi, bedeckte sich innerhalb weniger Tage mit Blumen.

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