Reise im Mondlicht
Allerlei blühende Obstbäume verbreiteten den durchdringenden
Jubel der Jahreszeit, dazu kamen Maulbeerbäume mit seltsam gewundenen Ästen, blasse, abgedämpft grüne Olivenbäume und die
großen Bäume mit den lila Blüten, deren Namen niemand zu sagen wußte. Tagsüber konnte sich der Spaziergänger in Hemdsärmeln
ergehen, die Nächte waren noch kühl, aber nicht auf unangenehme Art. Mihály gelangte, von Spello kommend, zu Fuß nach Assisi,
stieg auf den höchsten Punkt der Stadt, auf die Rocca hinauf, hörte sich die geschichtlichen Erläuterungen eines schönen und
klugen italienischen Bübchens an, setzte sich auf eine Mauer der uralten Burgruine, betrachtete stundenlang die umbrische
Landschaft und war glücklich.
Umbrien ist ganz anders als die Toskana, dachte er, bäuerlicher, archaischer, heiliger und vielleicht auch einen Hauch abweisender.
Franziskanererde. Alles Hügelstädte. Bei uns hat man immer in die Täler gebaut, an den Fuß der Berge, hier hingegen sind alle
Städte oben.Was für ein urzeitlicher Feind spukte wohl durch die Nerven der Gründer, vor was für einem Grauen flohen sie immer
in die Höhe, in den Schutz steiler Felsen? Wo sich ein Hügel erhebt, da ist gleich eine Stadt gebaut worden.
Denn alle Orte sind Städte. Spello wäre zum Beispiel zu Hause ein armseliges Dorf, hier ist es eine richtige Stadt, mit Kathedrale
und Café, viel mehr Stadt als etwa Szolnok oder Hatvan. Und bestimmt ist es der Geburtsort eines großen Malers, oder eine
wichtige Schlacht ist in der Nähe verloren worden.
|76| Die italienische Landschaft ist nicht so ausschließlich freundlich, so ausschließlich süß, wie ich mir das vorgestellt habe.
Hier in Umbrien nicht. Da ist etwas Karges, etwas Dunkles und Rauhes, so wie der Lorbeerbaum – und genau dieses rauhe Italien
ist anziehend. Vielleicht machen es die großen, kahlen Berge aus. Ich hätte nie gedacht, daß es in Italien so viele hohe,
kahle Berge gibt. Auf dem Subasio liegt noch in Flecken der Schnee.
Er brach einen Zweig von dem Baum, dessen Namen er nicht kannte, und ging fröhlich und blumengeschmückt in die Stadt. Auf
der Piazza, gegenüber dem Minervatempel, dem ersten antiken Tempel, den Goethe auf seiner italienischen Reise gesehen hat,
setzte er sich vor ein kleines Café, bestellte einen Wermut und fragte das Servierfräulein, wie dieser Baum heiße.
»Sassifraga«, sagte das Fräulein nach einigem Zögern lispelnd. »Sassifraga«, wiederholte sie unsicher. »Jedenfalls bei uns
oben, in Mailand, nennt man ihn so. Aber hier heißt ja alles anders«, fügte sie verächtlich hinzu.
Sassifraga, Quatsch, dachte Mihály. Sassifraga ist wahrscheinlich die Alpenrose. Sagen wir, das sei der Judasbaum.
Aber abgesehen davon fühlte er sich sehr wohl. Das umbrische Land verströmte Glück, ein bescheidenes, franziskanisches Glück.
Wie im Traum so oft, hatte er auch jetzt das Gefühl, daß die wichtigen Dinge nicht hier geschahen, sondern anderswo, vielleicht
dort oben, in Mailand, wo das lispelnde Fräulein als traurige Verbannte herkam. Oder dort, wo Erzsi war. Doch jetzt erfüllte
ihn auch das mit einem Glücksgefühl, daß er nicht dort sein mußte, wo die wichtigen Dinge stattfanden, sondern ganz anderswo,
hinter den sieben Bergen.
Als er nach Assisi gekommen war, hatte er gehofft, hier würde er vielleicht Ervin finden. Schließlich hatten sie in der Jugend,
zu Ervins »Regierungszeit«, alles gelesen, was den großen Heiligen von Assisi betraf. Bestimmt war Ervin Franziskaner geworden.
Doch er fand ihn nicht, und die Franziskanerkirchen vermochten die jugendzeitliche Ehrfurcht nicht heraufzubeschwören, nicht
einmal Santa Maria degli Angeli mit der Cappella del Transito, wo der Heilige gestorben war. Mihály blieb nicht über Nacht,
denn |77| er befürchtete, man würde ihn in einem so touristischen Ort eher finden. Er reiste weiter und kam am Abend in Spoleto an.
Beim Abendessen fand er den Wein gar nicht gut, diese italienischen Rotweine haben die Tendenz, nach Spiritus zu schmekken
oder nach Zwiebeln zu riechen, weiß Gott warum, wenn sie doch bei anderer Gelegenheit genauso unbegründet vortrefflich sind.
Er verdüsterte sich noch mehr, als er beim Zahlen feststellen mußte, daß das in Perugia aufgenommene Geld aller Sparsamkeit
zum Trotz nicht weit reichen würde, und was dann, das wußte er nicht. Die Außenwelt, die er in Perugia und der umbrischen
Weite so leicht und gern
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