Reise im Mondlicht
wieder aus dem Bett auf. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß Erzsi schlief, trat er zum Toilettentisch,
auf dem ihre Handtasche lag. Er suchte darin die Schecks – denn Erzsi war die Geldverwalterin. Er fand die beiden von der
ungarischen Nationalbank ausgestellten Lira-Schecks, beide auf den gleichen Lira-Betrag lautend, einer auf seinen Namen, einer
auf den Namen von Erzsi. Er nahm seinen Scheck heraus, schmuggelte an dessen Stelle ein Stück Papier gleichen Formats, verstaute
den Scheck in seiner Brieftasche und legte sich wieder ins Bett.
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Am nächsten Morgen reisten sie nach Rom weiter. Der Zug rollte aus Florenz hinaus und war mitten in der toskanischen Landschaft,
zwischen grünen, frühlingshaften Hügeln. Er kam langsam voran, hielt an jeder Station zehn Minuten, die Reisenden stiegen
aus und schwangen sich, wenn er anfuhr, mit südländischer Unbekümmertheit wieder aufs Trittbrett, wobei sie redeten und lachten.
»Schau«, sagte Mihály, »wieviel mehr Dinge man hier sieht, wenn man zum Fenster hinausblickt, als in einem anderen Land. Ich
weiß nicht, wie sie das machen, entweder ist der Horizont weiter oder die Gegenstände sind kleiner, aber ich würde wetten,
daß man hier fünfmal mehr Dörfer, Städte, Wälder, Flüsse, Himmel und Wolken sieht, als wenn man zum Beispiel in Österreich
zum Fenster hinausschaut.«
»Stimmt«, sagte Erzsi. Sie war schläfrig, und Mihálys Italienschwärmerei ging ihr allmählich auf die Nerven. »Trotzdem ist
Österreich schöner. Wir hätten dahin fahren sollen.«
»Nach Österreich?!« rief Mihály. Er war so beleidigt, daß er gar nicht weiterreden mochte.
»Steck deinen Paß ein«, sagte Erzsi. »Du hast ihn schon wieder auf dem Tischchen liegenlassen.«
Mihály blickte auf die toskanischen Hügelsiedlungen hinaus, und er hatte das Gefühl, einst schon viele solcher Orte gesehen
zu haben, so daß er jetzt das Glück des Wiedersehens spürte.
»Warum habe ich das Gefühl, ich hätte einen Teil meiner Jugend in solchen Hügelstädten verbracht, sag?«
Aber Erzsi mochte nicht darauf eingehen.
»Mir ist diese Reiserei verleidet«, sagte sie. »Ich wünschte, wir wären schon in Capri. Dort könnte ich mich ausruhen.«
|68| »Ach was, Capri! Es wäre viel interessanter, hier unterwegs auszusteigen. Ganz programmwidrig. Die nächste Station ist zum
Beispiel Arezzo. Arezzo! Phantastisch, daß es Arezzo tatsächlich gibt und nicht einfach eine Erfindung von Dante ist, der
die Turner von Arezzo mit Teufeln vergleicht, die aus ihren Hinterteilen Trompeten machen. Komm, laß uns in Arezzo aussteigen.«
»Was denn sonst noch? Ich soll aussteigen, weil Dante solche Schweinereien schreibt? Arezzo ist ein staubiges Kaff, bestimmt
gibt es einen Dom aus dem 13. Jahrhundert, einen Palazzo Comunale, an jeder Ecke ein Bild des Duce mit den entsprechenden nationalistischen Aufschriften,
viele Cafés und ein Hotel, das Stella d’Italia heißt. Ich bin nicht neugierig darauf. Es ist mit verleidet. Ich wäre gern
schon in Capri.«
»Interessant. Vielleicht weil du schon oft in Italien gewesen bist, fällst du vor einem Bild des Fra Angelico oder einem Bel-Paese-Käse
nicht in Ohnmacht. Ich hingegen habe noch das Gefühl, an jeder Station, an der ich nicht aussteige, eine Todsünde zu begehen.
Es gibt nichts Frivoleres, als mit der Bahn zu reisen. Zu Fuß müßte man reisen, oder zumindest mit der Postkutsche wie Goethe.
Es ist grauenvoll, daß ich in der Toskana war und doch nicht war. Daß ich an Arezzo vorbeigefahren bin und daß da irgendwo
Siena ist und ich nicht hingegangen bin.Wer weiß, ob ich je noch nach Siena kommen werde, wenn ich jetzt nicht hinfahre?«
»Na und. Zu Hause hast du nie verraten, daß du ein solcher Snob bist. Was macht es schon, daß du die Primitiven von Siena
nicht gesehen hast?«
»Wer redet von den Primitiven?«
»Was willst du dann in Siena?«
»Weiß ich doch nicht. Wenn ich es wüßte, würde es mich vielleicht gar nicht mehr hinziehen. Aber wenn ich das Wort ausspreche,
Siena, so habe ich das Gefühl, ich könnte dort etwas sehen, wovon alles in Ordnung käme.«
»Du spinnst, das ist das Problem.«
»Kann sein. Hungrig bin ich auch. Hast du etwas da?«
»Mihály, es ist fürchterlich, was du zusammenißt, seit wir in Italien sind. Wir haben doch erst gefrühstückt.«
|69| Der Zug hielt an einem Ort namens Terontola.
»Ich steige hier aus und trinke einen Kaffee.«
»Tu das
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