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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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lange. Er wußte, daß er bloß die Hand auszustrecken brauchte, um die wohltuende Wirklichkeit
     des anderen Körpers zu spüren, doch er quälte sich einsam und, wie ihm vorkam, stundenlang.
    Am folgenden Tag hatte er Kopfschmerzen, und seine Augen brannten übernächtigt.
    »Ich bin krank, Millicent«, sagte er. »Ich habe wieder das gleiche wie in Foligno, als ich im Krankenhaus war.«
    »Und das wäre?« fragte Millicent mißtrauisch.
    »Weiß man nicht so recht. Eine sporadisch auftretende kataleptisch-apodiktische Angelegenheit.«
    »Ach so.«
    »Ich muß nach Foligno zurück, zu dem braven Dr.   Ellesley. Vielleicht weiß er etwas. Und ihn kenne ich wenigstens. Was machst du, Millicent?«
    »Wenn du krank bist, begleite ich dich selbstverständlich. Ich werde dich doch nicht allein lassen. Überhaupt habe ich alle
     Primitiven schon gesehen.«
    Mihály küßte ihr gerührt die Hand. Bereits am späten Nachmittag waren sie in Foligno.
    Sie nahmen separate Zimmer, auf Mihálys Vorschlag. Ellesley brauche ja nicht alles zu wissen, sagte er.
    |107| Der Doktor kam gegen Abend vorbei und hörte sich seine Beschwerden an. Zum Wirbel-Phänomen brummte er nur etwas.
    »Das ist eine Form der Agoraphobie. Ruhen Sie sich vorläufig aus. Dann wollen wir sehen.«
    Mihály lag tagelang im Bett. Der Wirbel kam zwar nicht wieder, aber er hatte nicht die geringste Lust aufzustehen. Wenn er
     aufstünde, so hatte er das Gefühl, würde ihn der Wirbel gleich packen. Die Beruhigungs- und Schlafmittel, die Ellesley brachte,
     nahm er allesamt ein.Wenn er schlief, gelang es ihm hin und wieder, von Tamás und Éva zu träumen.
    »Ich weiß, was mir fehlt«, sagte er zu Ellesley. »Ich habe eine akute Nostalgie. Ich möchte wieder jung sein. Gibt es dafür
     ein Mittel?«
    »Hm«, sagte Ellesley, »schon, aber davon darf man nicht reden. Denken Sie an Faust. Vergessen Sie Ihren Wunsch nach Jugend.
     Die Erwachsenenjahre und das Alter sind auch gottgegeben.«
    Millicent kam fleißig, wenn auch gelangweilt, zu Besuch. Abends ging sie mit Ellesley zusammen weg.
    »Sagen Sie es ehrlich«, sagte Ellesley, als er eines Tages allein bei Mihály saß, »haben Sie nicht einen lieben Toten?«
    »Doch.«
    »Und Sie denken oft an ihn?«
    »Ja.«
    Von da an entsprachen Ellesleys Methoden immer weniger den Regeln der ärztlichen Kunst. Einmal brachte er eine Bibel mit,
     einmal einen Rosenkranz und einmal eine Heilige Madonna von Lourdes. Einmal bemerkte Mihály, während er mit Millicent plauderte,
     daß Ellesley ein Kreuz an die Tür zeichnete. Und eines Tages stellte er sich mit einem Knoblauchkranz ein.
    »Legen Sie sich das um, bevor Sie einschlafen.Knoblauchgeruch stärkt die Nerven.«
    Mihály mußte lachen.
    »Doktor, ich habe den Dracula auch gelesen. Ich weiß schon, wozu ein Knoblauchkranz dient. Um die Vampire fernzuhalten, die
     einem nachts das Herzblut absaugen wollen.«
    »Richtig. Es freut mich, daß Sie das wissen. Denn Sie können |108| noch lange meinen, daß die Toten nicht existieren. Sie kranken eben doch an Ihren Toten, die zu Ihnen kommen und Ihre Lebenskraft
     absaugen. Die ärztliche Wissenschaft hilft hier nichts.«
    »Aber nehmen Sie Ihren Knoblauch nur wieder mit. Meine Toten lassen sich durch so was nicht abschrecken. Sie sind in mir drin.«
    »Natürlich. Heutzutage arbeiten auch die Toten mit psychologischen Methoden. Das ändert aber nichts am Wesentlichen. Irgendwie
     muß man sich gegen sie schützen.«
    »Lassen Sie mich in Frieden«, sagte Mihály gereizt. »Sagen Sie lieber, ich hätte zu wenig Blut im Hirn, verschreiben Sie mir
     Eisenpräparate und für meine Nerven Brom. Darin besteht Ihre Aufgabe.«
    »Ja, sicher. Mehr kann ich tatsächlich nicht tun. Gegen die Toten nützt die Medizin nichts. Aber es gibt stärkere, übernatürliche
     Mittel   …«
    »Sie wissen doch, daß ich nicht abergläubisch bin. Der Aberglaube hilft nur denen, die ihn haben.«
    »Ein überholter Standpunkt. Und überhaupt, warum probieren Sie es nicht? Sie riskieren nichts.«
    »Doch. Mein Selbstwertgefühl, meine menschliche Würde, meine Rationalität.«
    »Das sind komplizierte,nichtssagendeWörter.Sie müssen es probieren. Sie müssen nach Gubbio gehen, dort gibt es einen wundertätigen
     Mönch, im Kloster Sant’ Ubaldo oben.«
    »Gubbio? Diesen Ort haben Sie doch auch schon erwähnt. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie gesagt, da sei Ihnen etwas
     sehr Unheimliches zugestoßen.«
    »Ja. Und jetzt will ich es auch

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