Reise im Mondlicht
reden? Ich dachte, Sie hätten ein Gefühl für das Schöne, obwohl Sie Europäer sind.«
Und sie wandte sich ab.
Mihály merkte, daß er den falschen Ton angeschlagen hatte; er mußte wohl oder übel wieder zur stupiden Tonlage zurückkehren.
Doch es fiel ihm kein dummes Argument ein. Er probierte es also mit Sentimentalität:
»Aber Sie werden mir unendlich fehlen, wenn Sie jetzt abreisen. Vielleicht sehen wir uns nie wieder im Leben.«
»Ja«, sagte Millicent, »Sie werden mir auch entsetzlich fehlen. Und ich habe doch schon nach Philadelphia geschrieben, an
Doris |100| und Ann Mary, wie gut Sie mich verstehen. Und jetzt müssen wir uns trennen.«
»Dann bleiben Sie doch da.«
»Das geht nicht. Aber kommen Sie doch mit nach Siena. Hier haben Sie ja sowieso nichts zu tun.«
»Das stimmt. So besehen könnte ich.«
»Also?«
Mihály gestand nach einigem Zögern:
»Ich habe kein Geld.«
Es war die Wahrheit. Sein Geld war fast aufgebraucht, denn er hatte zu Millicents Ehre ein paar anständigere Kleidungsstücke
gekauft, und daneben war es für Millicents überaus reichhaltige Verpflegung draufgegangen. Allerdings würde er nach einigen
Tagen auch kein Geld mehr haben, um in Foligno zu bleiben … doch wenn man an einem Ort sitzt, spürt man den Geldmangel weniger, als wenn man umherreist.
»Sie haben kein Geld?« fragte Millicent. »Wie ist das möglich?«
»Ich habe es aufgebraucht«, sagte Mihály lächelnd.
»Und Ihre Eltern schicken Ihnen keins?«
»Doch. Das werden sie tun. Wenn ich ihnen schreibe.«
»Na also. Bis dahin leihe ich Ihnen welches«, und sie holte ihr Scheckbuch hervor. »Wieviel brauchen Sie? Genügen fünfhundert
Dollar?«
Mihály schwindelte es von der Summe und vom Angebot. Sein ganzer bürgerlicher Anstand und seine ganze romantische Veranlagung
sträubten sich dagegen, Geld anzunehmen vom Abenteuer, vom Mädchen, das vom Himmel gefallen war und das er an dem Tag zum
ersten Mal geküßt hatte. Doch Millicent beharrte mit liebenswürdiger Unschuld auf ihrem Angebot. Sie leihe ihren Freundinnen
und Freunden immer Geld. In Amerika sei das normal. Und überhaupt würde Mihály es ja zurückgeben. Am Ende einigten sie sich
darauf, daß er es sich bis zum nächsten Tag überlegen würde.
Eigentlich hatte er große Lust, nach Siena zu fahren, mit oder ohne Millicent. Foligno war ihm schon verleidet, er sehnte
sich nach Siena, denn jetzt, wo seine Apathie aufgehört hatte, begannen |101| die italienischen Städte erneut süß und quälend zu locken, er solle sie alle besichtigen und ihr Geheimnis entdecken, bevor
es zu spät war. Wie zu Beginn seiner Hochzeitsreise trug er das Etwas, das für ihn Italien bedeutete, wie einen zerbrechlichen
Schatz in sich, den er ja nicht fallen lassen durfte. Außerdem war Millicent, seit er sie geküßt hatte, viel begehrenswerter
als zuvor, und solche Abenteuer wollen doch bis zum Ende ausgelebt werden.
Aber darf sich ein erwachsener, ernsthafter Mann, Mitglied einer bekannten Budapester Firma, von einem jungen Mädchen Geld
leihen? Nein, das darf er nicht. Daran bestand kein Zweifel. Aber war er noch ein ernsthafter Mann? War er mit seiner Flucht
und seinem Untertauchen nicht auf ein früheres Niveau zurückgesunken, in eine Lebensform, in der das Geld nichts anderes war
als Silberscheiben und Papierschnitzel? War er nicht zur Ethik des Ulpius-Hauses zurückgekehrt?
Mihály schauderte es bei diesem Gedanken. Nein, er durfte das nicht, auch das Paradies der Jugend war an der Realität gescheitert,
mit der sie nicht gerechnet hatten und deren hauptsächliche Erscheinungsform das Geld ist.
Nur:Wenn man etwas sehr möchte, betäubt man sein Gewissen problemlos. Es ging ja nur um ein sehr kurzfristiges Darlehen, eine
kleine Summe, er würde ja auch nicht fünfhundert Dollar annehmen,hundert wären auch genug,oder sagen wir zweihundert oder
vielleicht doch dreihundert … Jetzt gleich würde er nach Hause schreiben und dann das Geld binnen kurzem zurückzahlen.
Und er setzte sich tatsächlich hin und schrieb den Brief. Er schrieb nicht an seinen Vater, sondern an den jüngsten seiner
Brüder, an Tivadar. Das war der leichtfertige Lebemann der Familie, der zu Pferderennen ging und angeblich einmal mit einer
Schauspielerin ein Verhältnis hatte. Tivadar würde die Sache vielleicht verstehen und verzeihen.
Er schrieb:Wie Tivadar wahrscheinlich schon wisse, hätten sich Erzsi und er getrennt, in bestem
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