Reise im Mondlicht
Einvernehmen, und er würde
die Angelegenheit demnächst ordnen, wie es sich für einen Gentleman gehört. Über die Gründe der Trennung wolle er mündlich
berichten, es würde den Rahmen eines Briefs sprengen. Er schreibe |102| erst jetzt, weil er bis vor kurzem schwerkrank im Krankenhaus von Foligno gelegen habe. Jetzt gehe es ihm wieder besser, aber
die Ärzte seien der Meinung, daß er noch unbedingt Ruhe brauche, und so würde er gern die Zeit der Rekonvaleszenz hier in
Italien verbringen. Er müsse also Tivadar bitten, ihm Geld zu schicken. Und zwar so rasch und so viel wie möglich. Denn sein
Geld sei aufgebraucht, und er habe sich von einem hiesigen Freund dreihundert Dollar leihen müssen, die er so bald wie möglich
zurückerstatten wolle. Tivadar solle das Geld direkt an die Adresse seines Freundes schicken, an Dr. Richard Ellesley. Er hoffe, es gehe zu Hause allen gut, und ebenso hoffe er auf ein baldiges Wiedersehen. Auch die Briefe
möge man an Dr. Ellesleys Adresse in Foligno schicken, da er von hier aus weiterreisen werde, wobei er noch nicht genau wisse, wohin und für
wie lange Zeit.
Er gab den Brief am nächsten Morgen per Luftpost auf und eilte zu Millicent.
»Nicht wahr, Sie haben es sich überlegt, Mike, und kommen mit?«
Mihály nickte und nahm heftig errötend den Scheck entgegen. Dann ging er zur Bank, kassierte das Geld, kaufte einen schönen
Koffer, und nachdem sie sich von Ellesley verabschiedet hatten, reisten sie ab.
Sie waren im Erstklassabteil allein und küßten sich so gewissenhaft wie die Franzosen. Das hatten sie beide in ihren Studienjahren
in Paris gelernt. Später stieg zwar ein vornehmer alter Herr zu, aber auch da ließen sie sich nicht stören, sondern genossen
das Vorrecht, das den fremden Barbaren zusteht.
Am Abend kamen sie in Siena an.
»Ein Zimmer für die Signora und den Signore?« fragte der Portier des Hotels zuvorkommend. Mihály nickte, während Millicent,
die kein Wort verstand, erst oben begriff, was gespielt wurde. Aber sie hatte nichts dagegen.
Im übrigen war sie nicht im Entferntesten so unschuldig, wie sich das Dr. Ellesley ausgemalt hatte. Aber auch in der Liebe frisch und still erstaunt, so wie immer. Mihály fand, es habe sich sehr gelohnt,
nach Siena zu kommen.
|103| 4
Siena war die schönste italienische Stadt, die Mihály bis dahin gesehen hatte. Schöner als Venedig, schöner als das edle Florenz
und das sanfte Bologna mit seinen Bögen. Vielleicht spielte es auch eine Rolle, daß er nicht mit Erzsi, nicht offiziell gekommen
war, sondern mit Millicent und zufällig.
Die Stadt mit ihren steilen, rosaroten Straßen lag in lockeren, sorglosen Wellen auf sternförmig angeordneten Hügeln; und
in den Gesichtern ihrer Bewohner war zu lesen, daß sie zwar arm, aber auch glücklich waren, glücklich auf ihre unnachahmliche
lateinische Art. Ihre heitere Märchenhaftigkeit hat die Stadt daher, daß man von jedem ihrer Punkte den Dom sehen kann, der
wie ein zebrastreifiger, mit Türmen versehener Zeppelin über ihr schwebt.
Die eine Wand des Doms steht vom Bauwerk getrennt, in gut zweihundert Schritt Entfernung, als großartiges Symbol der Eitelkeit
aller menschlichen Pläne. Mihály war hingerissen von der Unbeschwertheit, mit der diese alten Italiener ihre Kathedralen zu
bauen begannen. »Wenn die in Florenz eine haben, müssen wir auch eine haben, und wenn möglich eine größere«, hatten sie gesagt
und gleich schon mal die äußerste Wand gebaut, damit die Florentiner einen Schreck bekämen über die Riesenkirche, die da in
Siena am Entstehen war. Dann war das Geld ausgegangen, die Bauleute hatten mit einer beiläufigen Geste ihr Werkzeug hingelegt
und die Kathedrale keines Blickes mehr gewürdigt. Ja genau, dachte Mihály, so muß man eine Kirche bauen. Die Bewohner des
Ulpius-Hauses hätten es wahrscheinlich auch so gemacht.
Dann gingen sie zum Campo hinunter, zu dem muschelförmigen Hauptplatz, der schon wegen seiner Gestalt aussieht wie das |104| Lächeln der Stadt. Mihály konnte sich kaum losreißen, Millicent hingegen war störrisch:
»Davon hat Miss Dwarf nichts geschrieben«, sagte sie,»und es ist auch nicht primitiv.«
Am Nachmittag gingen sie von einem Stadttor zum anderen, traten hinaus, und Mihály sog die Aussicht ein, die liebliche Enge
der Toskana.
»Das ist eine menschliche Landschaft«, sagte er zu Millicent. »Hier ist jeder Berg gerade so hoch, wie ein Berg sein
Weitere Kostenlose Bücher