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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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mehr weh, aber da saß er auf seinem Berg oben, unbewegt, unberührt,
     unfruchtbar   … Mihály schauderte es.
    Dann fiel ihm plötzlich etwas ein:
    »Ich habe eine Geschichte über dich gehört   … daß du eine
    |124| Frau, die von Toten heimgesucht wurde, mit Exorzismus geheilt hast, hier, in einem Palazzo der Via dei Consoli. Nicht wahr,
     Ervin, die Frau war Éva?«
    Ervin nickte.
    Mihály sprang erregt auf und trank den Rotwein aus.
    »O Ervin, erzähle   … wie war das   … und wie war Éva?«
    Wie Éva war? Ervin dachte nach. »Wie sollte sie schon sein? Sehr schön. Sie war wie immer   …«
    »Wirklich? Hat sie sich nicht verändert?«
    »Nein, ich jedenfalls habe an ihr keine Veränderung bemerkt.«
    »Und was macht sie?«
    »Das weiß ich nicht recht. Sie hat nur gesagt, es gehe ihr gut, und sie sei weit herumgekommen, im Westen.«
    Hatte sich in Ervin doch noch etwas geregt, als sie sich begegneten? Aber das wagte er nicht zu fragen.
    »Wo ist sie jetzt? Weißt du es?«
    »Nein, wie auch? Ich glaube, es ist schon ein paar Jahre her, daß sie hier in Gubbio war. Aber wie gesagt, mein Zeitgefühl
     ist sehr unsicher.«
    »Und sag   … wenn du es sagen darfst   … wie war das mit dem   … wie hast du den toten Tamás weggeschickt?«
    Man hörte Mihálys Stimme an, daß er von Grauen gepackt war. Wieder lächelte Ervin sein schmales Lächeln.
    »Das war nicht schwer. Es lag am Palazzo, daß Éva zur Geisterseherin wurde, die Totentür hat andere auch schon verwirrt. Ich
     habe einfach erreichen müssen, daß sie von dort wegging. Und dann glaube ich, daß sie das Ganze auch ein bißchen spielte,
     du kennst sie ja   … Ich fürchte, sie hat Tamás nicht wirklich gesehen, aber wer weiß. Ich habe im Lauf der Jahre mit so vielen Visionen und
     Gespenstern zu tun gehabt, vor allem hier in Gubbio, der Stadt der Totentüren, daß ich reichlich skeptisch geworden bin   …«
    »Trotzdem   … wie hast du Éva geheilt?«
    »Ich habe sie nicht geheilt. Das pflegt nicht so zu gehen. Ich habe einfach ernsthaft mit ihr geredet, habe ein bißchen gebetet,
     und sie hat sich beruhigt. Sie hat eingesehen, daß der Platz der Lebenden unter den Lebenden ist.«
    |125| »Bist du da sicher, Ervin?«
    »Ganz sicher«, sagte Ervin sehr ernst. »Außer, jemand wählt ein Leben wie ich. Aber sonst gehört er zu den Lebenden. Doch
     was predige ich dir da? Du weißt das ja auch.«
    »Hat sie nichts davon gesagt, wie Tamás gestorben ist?«
    Ervin antwortete nicht.
    »Könntest du die Erinnerung an Tamás und an Éva und an euch alle auch bei mir exorzieren?«
    Ervin dachte nach.
    »Das ist sehr schwer. Sehr schwer. Und ich weiß auch nicht, ob es richtig wäre, denn was bleibt dir dann? Es ist sehr schwer,
     dir überhaupt etwas zu sagen, Mihály. Ein so ratloser und dem Rat unzugänglicher Pilger wie du kommt selten zu Sant’ Ubaldo.
     Wenn ich dir riete, was ich dir raten müßte, so würdest du es doch nicht befolgen. Die Schatzkammer der Gnade tut sich nur
     vor denen auf, die an ihr teilhaftig werden möchten.«
    »Aber was wird aus mir? Was soll ich morgen und übermorgen tun? Ich habe von dir die wunderbare Antwort erwartet. Habe abergläubisch
     daran geglaubt. Soll ich nach Budapest heimkehren wie der verlorene Sohn, oder soll ich ein neues Leben beginnen, etwa als
     Arbeiter? Schließlich habe ich das Handwerk gelernt, ich könnte auch als Facharbeiter mein Geld verdienen. Laß mich nicht
     allein, ich bin sowieso sehr einsam. Was soll ich tun?«
    Ervin fischte aus den Tiefen seiner Kutte eine riesige bäuerliche Uhr hervor.
    »Geh jetzt schlafen. Es ist gleich Mitternacht, ich muß in die Kirche. Geh schlafen, ich bringe dich zu deinem Zimmer. Und
     während der Matutin will ich über dich nachdenken. Vielleicht tut sich vor mir etwas auf   … das ist durchaus schon vorgekommen. Morgen früh kann ich dir vielleicht etwas sagen. Jetzt geh schlafen. Komm.«
    Er führte Mihály ins Ospizio. Dieser halbdunkle Raum, in den die Pilger vieler Jahrhunderte ihre Leiden, ihre Sehnsüchte und
     Hoffnungen hineingeträumt hatten, paßte zu Mihálys tiefer Erschütterung. Die Liegestätten waren weitgehend leer, zwei, drei
     Pilger schliefen in einem entfernteren Winkel des Saals.
    |126| »Geh ins Bett, Mihály, und schlaf wohl. Eine geruhsame, gute Nacht«, sagte Ervin.
    Er machte das Kreuzzeichen über Mihály und eilte weg.
    Mihály saß noch lange auf dem Rand des harten Betts, die Hände im Schoß

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