Reise im Mondlicht
Pariser Kaffee, doch dann sagte sie sich, daß auch er keine Lebensnotwendigkeit sei,
und sie verzichtete auf ihn. Nur einmal in der Woche, montags, trank sie in der Maison du Café eine Tasse des berühmten Gebräus.
Am Tag nach ihrer Ankunft hatte sie sich in einem eleganten Geschäft in der Nähe der Madeleine eine hinreißende Handtasche
gekauft, aber bei dieser Luxusanschaffung blieb es. Sie entdeckte |131| , daß man all die Sachen, die den Fremden in den vornehmen Vierteln für einen Haufen Geld angedreht wurden, in den einfachen
Geschäften kleiner Nebenstraßen oder in den bazarartigen Stadtteilen viel billiger bekam. Und so kaufte sie etliches, weil
es da viel billiger war. Aber nichts kaufen ist noch billiger, wie sie merkte, und von da an bestand der Spaß darin, an verlockende
Dinge zu denken und sie doch nicht zu kaufen. Bald darauf entdeckte sie zwei Straßen weiter weg ein Hotel, das nicht so modern
war wie das bisherige, aber doch immerhin Zimmer mit fließendem Wasser hatte und wo man eigentlich genauso gut wohnen konnte,
bloß für zwei Drittel weniger. Sie überredete Sári, und sie zogen um.
Mit der Zeit wurde das Sparen zu einer Hauptbeschäftigung. Sie hatte ja, wie ihr jetzt in den Sinn kam, schon immer einen
starken Hang zur Sparsamkeit gehabt. Als Kind hatte sie die geschenkten Pralinen meistens so lange aufbewahrt, bis sie schimmlig
waren, auch die hübschen Kleidungsstücke, ein Paar feine Strümpfe, teure Handschuhe oder einen Seidenschal, hatte sie immer
versteckt, bis sie, schmutzig und kaputt, von ihren Kinderfräuleins an den seltsamsten Orten entdeckt wurden. Später hatte
das Leben Erzsi nicht mehr gestattet, ihre Sparleidenschaft auszuleben. Als junges Mädchen mußte sie an der Seite ihres Vaters
zu Prestigezwecken repräsentieren, und als Zoltáns Frau durfte sie erst recht nicht ans Sparen denken. Wenn sie einmal auf
ein Paar teure Schuhe verzichtete, stellte sich Zoltán anderntags mit drei Paar noch teureren ein. Er war ein Mann »großen
Stils«, der auch die Kunst und die Künstlerinnen unterstützte und größten Wert darauf legte, seine Frau mit allem Erdenklichen
zu überhäufen, was nicht zuletzt der Beruhigung seines Gewissens diente. So war Erzsis Hauptleidenschaft, das Sparen, unbefriedigt
geblieben.
Jetzt, in Paris, brach sie mit elementarer Gewalt hervor. Dazu trug auch die französische Atmosphäre bei, die französischen
Lebensformen, die noch in den leichtsinnigsten Seelen die Sehnsucht nach Sparsamkeit wecken, und es trugen auch heimlichere
Motive bei, der Liebesverlust, das Scheitern ihrer Ehe, die Ziellosigkeit des Lebens – das alles suchte irgendwie in der Sparsamkeit |132| seine Kompensation. Als sie auch noch auf das tägliche Bad zu verzichten begann, weil der Hotelier zuviel dafür verlangte,
mochte Sári die Sache nicht länger wortlos mit ansehen.
»Was zum Teufel sparst du so? Ich kann dir doch Geld geben, natürlich gegen einen Wechsel, der Form halber …«
»Danke, du bist lieb, aber ich habe Geld. Gestern sind von Mihálys Vater dreitausend Francs gekommen.«
»Dreitausend Francs, na, das ist doch ein Menge Geld. Ich mag es nicht, wenn eine Frau so höllisch spart. Da stimmt etwas
nicht. Es ist das gleiche, wie wenn eine Frau den ganzen Tag die Wohnung putzt, oder sich den ganzen Tag die Hände wäscht
und extra ein Taschentuch mitnimmt, wenn sie auf Besuch geht, um sich damit die Hände zu trocknen. Die weibliche Verrücktheit
hat tausend Formen. Jetzt fällt mir ein, was machst du eigentlich den ganzen Tag, wenn ich im Büro bin?«
Wie sich herausstellte, konnte Erzsi darüber keine Rechenschaft geben. Sie wußte nur, daß sie sparte. Dahin nicht ging und
dorthin nicht, und das nicht tat und jenes auch nicht, um kein Geld auszugeben. Aber was sie sonst noch machte, das war schleierhaft,
etwas Traumähnliches …
»Wahnsinn«, schrie Sári. »Ich habe immer gedacht, daß du jemanden hast, mit dem du die Zeit verbringst, und jetzt stellt sich
heraus, daß du den ganzen Tag bloß vor dich hinstarrst und tagträumst, wie die halbverrückten Weiber, die auf dem besten Weg
sind, ganz verrückt zu werden. Und unterdessen nimmst du natürlich zu, so wenig du essen magst, ist ja klar, daß du zunimmst,
du solltest dich schämen. So geht das nicht weiter. Du mußt unter die Menschen und dich für etwas interessieren. Verdammt
nochmal, wenn ich bloß irgendwie Zeit hätte
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