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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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…«
    »Hör mal, heute abend steigt die Fete«, sagte sie ein paar Tage danach strahlend. »Da ist ein ungarischer Gentleman, der mit
     dem Unternehmen irgendwie ein ganz schummriges Geschäft machen will, und er liegt mir zu Füßen, weil er weiß, wie sehr der
     Patron auf mich hört. Jetzt hat er mich zum Abendessen eingeladen, er sagt, er wolle mir den Geldgeber vorstellen, in dessen
     Namen er verhandelt. Ich habe gesagt, mich interessieren
moche
Geldmenschen |133| nicht, ich hätte schon im Büro mit genug scheußlichen Typen zu tun. Er hat gesagt, der sei aber gar nicht
moche
, sondern ein sehr schöner Mann, ein Perser. Na, sage ich, also gut, aber ich bringe eine Freundin mit. Worauf er sagt, großartig,
     gerade das habe er vorschlagen wollen, damit ich nicht die einzige Frau der Gesellschaft sei.«
    »Liebes, du weißt doch, daß ich nicht mitgehen kann, was für eine Idee! Ich habe keine Lust, und anzuziehen habe ich auch
     nichts. Alles, was ich habe, sind armselige Budapester Lumpen.«
    »Keine Angst, in denen bist du sehr elegant. Ist ja im Vergleich mit diesen hageren Pariserinnen auch keine Kunst   … und dem Ungarn wird sicher gefallen, daß du eine Landsmännin bist.«
    »Kommt nicht in Frage, daß ich mitgehe. Wie heißt der ungarische Herr?«
    »János Szepetneki, jedenfalls behauptet er das.«
    »János Szepetneki   … aber den kenne ich doch!… Du, das ist ein Taschendieb!«
    »Ein Taschendieb? Schon möglich. Ich hätte zwar eher gedacht, ein Einbrecher. Naja, in der Filmindustrie fängt jeder so an.
     Aber abgesehen davon ist er sehr charmant. Also, kommst du oder kommst du nicht?«
    »Ich komme.«
    Die kleine Auberge, wo sie zu Abend aßen, gehörte zu der auf Altfranzösisch stilisierten Sorte, mit karierten Vorhängen und
     Tischdecken, mit wenigen Tischen und sehr gutem, teurem Essen. Als Erzsi mit Zoltán in Paris gewesen war, hatten sie oft in
     solchen und noch besseren Lokalen gegessen, jetzt aber, da sie aus den Tiefen ihrer Sparsamkeit auftauchte, war sie gerührt,
     als ihr die gemütliche und wohlbestallte Atmosphäre des Restaurants entgegenschlug. Die Rührung dauerte aber nur einen Augenblick,
     denn schon eilte ihnen die größere Sensation entgegen, János Szepetneki. Er küßte Erzsi, die er nicht erkannte, in bester
     Gentry-Manier die Hand, machte Sári Komplimente zu ihrem ausgezeichneten Geschmack bei der Wahl ihrer Freundinnen, worauf
     er die Damen zu dem Tisch führte, wo sein Freund schon wartete. »Monsieur Suratgar Lutphali«, sagte er. In Erzsis Augen |134| bohrte sich, an einer Adlernase vorbei, ein gnadenlos intensiver Blick. Sie erschauerte. Auch Sári war offensichtlich erschüttert.
     Beide hatten sie die Empfindung, daß sie sich mit einem nur notdürftig gezähmten Tiger an den Tisch setzten.
    Erzsi wußte nicht, vor wem sie sich mehr fürchten sollte: vor Szepetneki, dem Taschendieb, der so gut Pariserisch sprach und
     das Menü mit einer so vollkommenen Mischung aus Sorgfalt und Nonchalance zusammenstellte, wie es nur gefährliche Hochstapler
     vermögen (es fiel ihr ein, wie sogar Zoltán vor den Kellnern der vornehmen Pariser Restaurants Angst hatte) – oder vor dem
     Perser, der schweigend dasaß, mit einem freundlichen europäischen Lächeln, das so vorfabriziert und unangepaßt war wie eine
     Fertigkrawatte. Doch dann lösten die Hors d’œuvres und das erste Glas Wein seine Zunge, und von da an beherrschte er die Konversation,
     in einem seltsamen, aus der Brust kommenden Stakkato-Französisch.
    Seine Zuhörer waren völlig gefesselt. Eine romantische Beseeltheit entströmte ihm, etwas Mittelalterliches, ein unverstellteres,
     wahreres Menschsein, das noch überhaupt nicht automatisiert war. Dieser Mensch rechnete noch nicht in Francs und Pengő, sondern
     in Valuten aus Rosen, Felsen, Adlern. Dennoch verging das Gefühl nicht, daß sie mit einem nur notdürftig gezähmten Tiger am
     Tisch saßen. Wegen seiner Augen war das so.
    Es stellte sich heraus, daß er zu Hause in Persien Rosenplantagen und Eisenminen besaß und vor allem Mohnpflanzungen, da seine
     Hauptbeschäftigung in der Opiumherstellung bestand. Er hatte eine ganz schlechte Meinung vom Völkerbund, der den Opiumexport
     blockierte und ihm schwere finanzielle Schäden zufügte. Er sah sich gezwungen, oben an der Grenze zu Turkestan eine Schmugglerbande
     zu unterhalten, damit sein Opium nach China kam.
    »Aber, mein Herr, dann sind Sie ein Feind der Menschheit«, sagte Sári.

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