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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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»Sie verbreiten das weiße Gift. Sie machen Hunderttausenden
     armer Chinesen das Leben kaputt. Und Sie staunen noch, daß alle anständigen Menschen gegen Sie Front machen.«
    »Ma chère«, sagte der Perser mit unerwarteter Vehemenz, »Sie |135| reden von Dingen, von denen Sie nichts verstehen. Sie werden von den dummen humanistischen Schlagwörtern der europäischen
     Zeitungen irregeführt.Wie könnte das Opium den ›armen‹ Chinesen schaden? Denken Sie denn, die hätten Geld für Opium? Die sind
     froh, wenn es für Reis reicht. Das Opium wird in China nur von den ganz reichen Leuten geraucht, denn es ist teuer und eine
     Sache der Privilegierten, so wie die anderen guten Dinge dieser Welt. Das ist das Gleiche, wie wenn ich mich darüber aufregte,
     daß die Pariser Arbeiter zuviel Champagner trinken. Und wenn es den Pariser Reichen nicht verboten ist, Champagner zu trinken,
     soviel sie wollen, warum sollte dann den Chinesen das Opium verboten sein?«
    »Der Vergleich hinkt. Opium ist viel schädlicher als Champagner.«
    »Das ist auch so eine europäische Idee. Ja, wenn ein Europäer zu rauchen anfängt, gibt es kein Halten. Die Europäer sind in
     allem maßlos, im Essen und Häuserbauen und Blutvergießen. Wir hingegen vermögen das richtige Maß zu wahren. Oder finden Sie,
     daß mir das Opium schlecht bekommen ist? Und ich rauche es regelmäßig, ja, ich esse es sogar.«
    Er stellte seinen mächtigen Brustkasten heraus, dann zeigte er mit einer etwas zirkushaften Bewegung den Bizeps, und er wollte
     schon seine Beine vorzeigen, als Sári abwinkte:
    »Na, na. Lassen Sie fürs nächste Mal auch noch was.«
    »Wie Sie wünschen   … Die Europäer sind auch beim Trinken maßlos, obwohl es ein widerliches Gefühl ist, wenn man zuviel Wein im Magen hat und
     spürt, daß einem früher oder später übel wird. Die Wirkung des Weins steigert sich immer mehr, und dann bricht man plötzlich
     zusammen. Er vermag nicht wie das Opium eine gleichmäßige, andauernde Lust zu schenken, das einzige Glück auf dieser Erde   … Überhaupt, was wißt ihr Europäer? Zuerst müßtet ihr die Verhältnisse kennen, bevor ihr euch in die Belange eines Erdteils
     einmischt.«
    »Deshalb wollen wir ja jetzt diesen Aufklärungs-Propagandafilm mit Ihnen machen«, sagte Szepetneki an Sári gewandt.
    »Was? Einen Propagandafilm fürs Opiumrauchen?« fragte Erzsi, |136| die bis dahin mit dem Standpunkt des Persers sympathisiert hatte und erst jetzt erschrak.
    »Nicht fürs Opiumrauchen, sondern für den freien Opiumtransport und überhaupt für die Freiheit des Menschen. Wir verstehen
     diesen Film als einen großen individualistischen Aufschrei gegen jegliche Art von Tyrannei.«
    »Und was wäre die Story?« fragte Erzsi.
    »Am Anfang sähe man«, sagte Szepetneki, »einen schlichten, wohlmeinenden, konservativen persischen Opiumproduzenten im Kreise
     seiner lieben Familie. Er kann seine Tochter, die Protagonistin, erst dann dem von ihr geliebten und gleichrangigen jungen
     Mann zur Frau geben, wenn er seine Opium-Jahresernte verkauft hat. Doch der Intrigant, der ebenfalls in die Tochter verliebt
     ist, aber daneben ein zu allem bereites kommunistisches Scheusal, zeigt den Vater bei den Behörden an, und in der Nacht wird
     die ganze Ernte in einer Razzia beschlagnahmt. Das wird wahnsinnig spannend, mit Autos und Sirenen. Später jedoch wird der
     gestrenge Oberst durch die Unschuld und den Seelenadel des Mädchens erweicht, und er gibt das beschlagnahmte Opium zurück,
     worauf es unter Schellengeklingel nach China transportiert wird. Das wäre die Story im großen und ganzen   …«
    Erzsi wußte nicht, ob Szepetneki Spaß machte. Der Perser hörte ernst zu, ja, mit einer Art naivem Stolz. Vielleicht stammte
     die Geschichte von ihm.
    Nach dem Essen gingen sie in ein vornehmes Dancing. Hier stießen noch weitere Bekannte zu ihnen, man saß an einem großen Tisch
     und redete durcheinander, soweit es der Lärm zuließ. Erzsi war in einiger Entfernung von dem Perser zu sitzen gekommen. Szepetneki
     forderte sie zum Tanz auf.
    »Wie gefällt Ihnen der Perser?« fragte Szepetneki beim Tanzen. »Ein sehr interessanter Mensch, nicht wahr? Durch und durch
     romantisch.«
    »Wissen Sie, wenn ich ihn ansehe, geht mir der Vers eines alten, verrückten englischen Dichters durch den Kopf«, sagte Erzsi,
     deren früheres intellektuelles Ich für einen Augenblick hochkam. »Tiger, tiger burning bright in the forests of the night  

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