Reise im Mondlicht
…«
|137| Szepetneki blickte sie erstaunt an, und Erzsi schämte sich.
»Ein Tiger, ja«, sagte Szepetneki, »aber ein fürchterlich schwieriger Fall. So naiv er im übrigen ist, so mißtrauisch und
vorsichtig ist er in geschäftlichen Angelegenheiten. Obwohl er den Film nicht aus geschäftlichen Gründen machen will, sondern
nur wegen der Propaganda und vor allem auch, glaube ich, weil er sich aus den Statistinnen einen Harem zusammenstellen möchte.
Und wann sind Sie denn von Italien hierhergekommen?«
»Sie haben mich erkannt?«
»Natürlich. Nicht jetzt. Schon vor Tagen auf der Straße, wo ich Sie zusammen mit Mademoiselle Sári gesehen habe. Ich habe
nämlich einen Adlerblick. Diesen heutigen Abend habe ich nur arrangiert, um mit Ihnen zu reden … Aber sagen Sie, wo haben Sie meinen lieben Freund Mihály gelassen?«
»Ihr lieber Freund ist vermutlich immer noch in Italien. Wir haben keinen Kontakt.«
»Kolossal. Sie haben sich auf der Hochzeitsreise getrennt?«
Erzsi nickte.
»Großartig. Das läßt sich sehen. Ganz Mihálys Stil. Der alte Knabe hat sich überhaupt nicht verändert. Er hat Zeit seines
Lebens immer alles aufgegeben. Für nichts hat er Geduld. Er war zum Beispiel der beste Mittelstürmer nicht nur des ganzen
Gymnasiums, sondern, ich wage es zu behaupten, sämtlicher Mittelschulen des Landes. Und dann hat er eines schönen Tages …«
»Woher wissen Sie, daß er mich hat sitzenlassen, und nicht ich ihn?«
»Oh, Pardon. Danach habe ich gar nicht gefragt. Na sicher. Sie haben ihn sitzenlassen. Ist ja auch verständlich. Ein Mensch
wie er ist nicht auszuhalten. Ich kann mir vorstellen, was für eine Tortur das Leben mit so einem Gipskopf ist … der nie wütend wird, der nie …«
»Ja. Er hat mich sitzenlassen.«
»Ach so. Habe ich übrigens gleich gedacht. Schon damals in Ravenna. Wissen Sie, ich meine das jetzt ganz ernst. Mihály als
Ehemann, das geht nicht. Er ist … wie soll ich sagen … er ist ein Suchender … Er hat schon immer etwas gesucht, etwas, das anders |138| ist. Etwas, worüber dieser Perser, glaube ich, viel mehr weiß als wir. Vielleicht müßte Mihály Opium rauchen. Ja, genau das
sollte er. Und ich muß ehrlich gestehen, ich habe ihn noch nie verstanden.«
Er winkte resigniert ab.
Doch Erzsi fühlte, daß diese lässige Geste bloß eine Pose war und daß Szepetneki unheimlich gern gewußt hätte, was zwischen
ihr und Mihály vorgefallen war. Er wich nicht mehr von ihrer Seite.
Sie setzten sich nebeneinander, und Szepetneki ließ niemanden an Erzsi heran. Sári hatte bereits einen Verehrer, einen älteren,
würdigen Franzosen; der Perser seinerseits saß glühenden Blickes zwischen zwei nach Film aussehenden Frauen.
Interessant, dachte Erzsi, aus der Nähe ist immer alles so anders und so nichtig. Als sie zum ersten Mal in Paris war, klangen
ihr noch all die Legenden im Ohr, die sie als Schulmädchen aufgeschnappt hatte. Sie dachte, Paris sei ein Sündenpfuhl, und
die beiden unschuldigen Künstler- und Emigrantencafés auf dem Montparnasse, das Dôme und das Rotonde, waren für sie wie die
beiden feuerheißen Kiefer des Höllenschlunds. Und jetzt, da sie hier zwischen wahrscheinlich wirklich sündigen Menschen saß,
war alles so selbstverständlich.
Aber sie hatte keine Gelegenheit zum Grübeln, weil sie hören wollte, was Szepetneki erzählte. Sie dachte, sie würde von ihm
etwas Wichtiges über Mihály erfahren.Szepetneki erzählte genußvoll von den gemeinsamen Jahren, die aber natürlich ganz anders
aussahen als in Mihálys Bericht. Nur über die Großartigkeit von Tamás waren sie sich einig: Er war der todgeweihte Prinz gewesen,
den das Leben nicht verdient, der gegangen war, bevor er sich hätte auf Kompromisse einlassen müssen. Laut Szepetneki war
Tamás so zartbesaitet gewesen, daß er nicht schlafen konnte, wenn sich zwei Zimmer entfernt etwas rührte, und mit einem starken
Geruch konnte man ihm das Leben verleiden.Das einzige Problem sei gewesen, daß er in seine Schwester verliebt war. Sie hätten
ein Verhältnis gehabt, und als Éva schwanger wurde, habe sich Tamás voller Schuldgefühle umgebracht. In Éva seien sowieso
alle verliebt |139| gewesen.Deshalb sei Ervin Mönch geworden,aus hoffnungsloser Liebe. Auch Mihály habe sie geliebt. Er sei ihr nachgelaufen wie
ein Hündchen. Zum Lachen. Und Éva habe ihn ausgenützt. Habe ihm das ganze Geld aus der Tasche gezogen. Und seine
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