Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
Vom Netzwerk:
Vater ein König.
     Wenn ich bloß genauer wüßte, was ein Tagelöhner ist   …
    Hier, unter den Toten   … Denn da war er schon draußen unterwegs, außerhalb der Stadtmauern, hinter der Cestius-Pyramide, auf dem kleinen protestantischen
     Friedhof. Hier ruhten seine Kollegen, die Toten aus dem Norden, die von unnennbaren Sehnsüchten nach Rom getrieben und hier
     vom Tod eingeholt worden waren. Dieser schöne Friedhof mit den schattigen Bäumen war schon immer eine Versuchung für die nordischen
     Seelen, die sich hier die Verwesung angenehmer dachten. In einer von Goethes Römischen Elegien steht am Schluß:
Cestius’ Mal vorbei, leise zum Orcus hinab.
Shelley hatte in einem wunderschönen Brief geschrieben, daß er hier zu ruhen wünsche, und das tut er tatsächlich, zumindest
     sein Herz, unter der Inschrift:
Cor cordium.
    Mihály wollte schon wieder gehen, als ihm in einer Ecke des Friedhofs eine separate Gruppe von Gräbern auffiel. Er ging hin |151| und las die Inschriften an den schlichten Empire-Grabsteinen. Auf dem einen stand nur:
Here lies one whose name was writ in water
. Auf dem anderen Grab ein längerer Text, wonach hier der Maler Severn ruhte,der beste Freund und treue Pfleger des sterbenden
     John Keats,des großen englischen Dichters,der nicht gestattet habe,daß man seinen Namen auf den benachbarten Grabstein schrieb.
    Mihálys Augen füllten sich mit Tränen. Hier ruhte Keats, der größte Dichter, seit die Welt besteht   … auch wenn solche Rührung unbegründet war, denn sein Körper ruhte ja längst nicht mehr da, und seine Seele wurde durch seine
     Gedichte besser aufbewahrt als durch jegliches Grabmal. Aber wie großartig, wie englisch, wie liebevoll kompromißhaft und
     unschuldig verlogen war die Art, in der sein letzter Wille geehrt wurde, während unmißverständlich klargemacht wurde, daß
     es Keats war, der hier unter dem Stein lag.
    Als er aufblickte, standen seltsame Menschen neben ihm. Eine wunderschöne und zweifellos englische Frau, eine Nurse in Schwesterntracht
     und zwei sehr schöne englische Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Sie standen bloß da, blickten verlegen auf das Grab, aufeinander
     und auf Mihály, ohne sich zu rühren. Auch Mihály stand einfach da und wartete, daß sie etwas sagten, aber sie sagten nichts.
     Nach einer Weile trat ein eleganter Herr hinzu, mit der gleichen ausdruckslosen Miene wie die anderen. Er glich der Frau sehr,
     sie konnten Zwillinge sein oder zumindest Geschwister. Die Frau deutete auf die Inschrift. Der Engländer nickte und schaute
     ernst und verlegen auf das Grab, auf die Familie und auf Mihály, und auch er sagte kein Wort. Mihály ging ein wenig zur Seite,
     er dachte, sie schämten sich vielleicht vor ihm, doch sie standen weiterhin einfach da, nickten zuweilen und blickten einander
     betreten an;die beiden Kinder hatten die gleichen verlegenen und marmorhaft schönen Gesichter wie die Erwachsenen.
    Mihály drehte sich wieder zu ihnen um und starrte sie jetzt schon mit unverhüllter Neugier an, und da hatte er mit einemmal
     das Gefühl, daß das keine Menschen waren, sondern unheimliche Puppen, ratlose Automaten, unerklärliche Wesen.Wären sie nicht
     so schön gewesen, hätten sie vielleicht nicht so überraschend gewirkt |152| , doch ihre Schönheit hatte wie auf den Reklamen etwas Unmenschliches, und Mihály wurde von Panik ergriffen.
    Dann zog die englische Familie langsam und nickend ab, und Mihály kam zu sich. Als er kühleren Kopfes die vergangenen Minuten
     heraufbeschwor, erschrak er erst recht.
    Was ist mit mir los? Was ist das für ein schmachvoller, an die dunkelsten Zeiten meiner Jugend erinnernder Nervenzustand?
     An diesen Menschen ist überhaupt nichts seltsam, sie sind nur prüde und ungewöhnlich stupide Engländer, die plötzlich vor
     Keats’ Grab standen und nicht wußten, was sie mit dieser Tatsache anfangen sollten, vielleicht weil sie nicht wußten, wer
     Keats war, vielleicht weil ihnen nicht in den Sinn kam, was ein wohlerzogener Engländer an Keats’ Grab tut, und deshalb haben
     sie sich voreinander und vor mir geschämt. Eine nichtssagendere und alltäglichere Situation kann man sich gar nicht vorstellen,
     mir hingegen fällt das ganze Grauen der Welt auf die Seele. Ja, das Grauen ist nicht in der Nacht und nicht in beängstigenden
     Situationen am stärksten, sondern am hellichten Tag, wenn es uns aus etwas Alltäglichem entgegenstarrt, aus einem Schaufenster,
     aus einem unbekannten

Weitere Kostenlose Bücher