Reise in die arabische Haut
ich hier in Tunesien sitze. Hoffentlich entfremdet er sich nicht von mir. Ein Gedanke zieht den anderen nach sich.
Auf einmal bin ich nicht mehr überzeugt, ob Khalid mich aus tiefstem Herzen liebt. Vielleicht ist es ihm sogar recht, dass ich nicht in seiner Nähe weile. Nun kann er sich unbeobachtet eine junge Frau suchen, die ihm Kinder schenkt. Ständig vertrauten mir einige Leute an, dass Kinder für Tunesier die Rentenversicherung sind. Die Suche nach einem Weib ist meines Erachtens irrelevant, aber das Finden ist bedeutsam.
Wie agiere ich bloß, wenn er sie schon gefunden hat? Soll ich mich in der Frauenliga von Inshallah einreihen? Seit heute erkenne ich, dass interkulturelle Beziehungen einen superschweren Stand haben.
Bei dieser verwandtschaftlichen Hochzeitsfeier werde ich noch elementar kirre. Meine psychotischen Anwandlungen, die tief vergraben waren, bahnen sich wieder an die Oberfläche.
Ich brauche hier und jetzt Gewissheit, dass mein Kerl mich noch liebt. Das Wörtchen Fliehen fährt in meinen grauen Zellen Geisterbahn. Als ich an Jaddas leerem Räumchen vorbeischleiche, erblicke ich zufällig ihre Geisterburka, die am Stuhl hängt. Meine Chance zur Flucht ist nicht mehr weit.
Da Jadda im Wirtschaftsbereich den Küchenmeister spielt und meine Schwägerinnen sich angeregt am Tisch unterhalten, habe ich ein überschaubares Feld.
Ich springe mit einem Satz in Jaddas Hütte, greife mir das Laken und schlendere dezent die Treppe hinunter zum geschmückten Portal. Bisher war das Tor stets verschlossen, doch heute steht es wegen der Hochzeit sperrangelweit offen. Hinter der Tür stülpe ich mir das Riesentuch über den Körper und habe unfreiwillig ein viel zu kleines Guckloch, um Beni Hassen ohne Gefolge zu entdecken. So sieht die Welt draußen für Jadda aus, denke ich kurz und bedauere ihren eingeschränkten Blickwinkel.
Vor dem Haus steht mein Esel, dem ich kurz über den Kopf streichele und einen letzten Rat gebe: »Hau ab, wenn Ali Baba sich nähert. Ich kann für nichts garantieren.«
Da von links eine neue Gruppe Besucher herandrängt, biege ich in die rechte Gasse ab. Nach ein paar Metern fange ich an, zu laufen. Ich renne um mein freies, deutsches Leben.
Als ich das Publitel sehe, atme ich auf, drossele mein Tempo und gehe hocherhobenen Hauptes hinein. Der Inhaber will Geld sehen, bevor ich zum Hörer greife. Ich entledige mich meines Umhangs und taste die Kleidertaschen ab. Meine Freiheit endet so abrupt, wie ich sie eingeläutet habe. Mir fehlt das nötige Kleingeld, um zu telefonieren.
Ein Geistesblitz kommt mir wie gerufen. »Ben Amor, Jadda, sarduk.«
Der Publiteler erinnert sich grinsend an Jadda mit ihrem flügelschlagenden Huhn.
»Ben Amoooor, etfadäl talfan.« Er zeigt mit der Hand auf die erste Telefonkabine.
»Shukran Monsieur.«
Erlöst lasse ich die Kabinentür hinter mir zuklappen.
Ich rufe zuerst auf dem Festnetz an. Das Telefon tutet ohne Unterlass, aber es geht niemand dran. Im Krankenhaus wird auf allen Leitungen gesprochen. Ich höre die abgehackte Bachkantate mit den Zwischenrufen: »Bitte legen Sie nicht auf! Please hold the line!«
Ich unterbreche die Unterhaltung mit der blöden Einspielung und wähle stattdessen Khalids Handynummer.
»Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Probieren Sie es später nochmal.«
Er hat sein Handy ausgeschaltet, weil er mit einer Anderen im Bett liegt. Abenteuer sind am Abend teuer, aber noch teurer sind sie, wenn Frau getrennt von ihrem Mann in einem fernen Land ihre eigenen Abenteuer erlebt.
Ich probiere noch dreimal alle Nummern. Beim dritten Mal erreiche ich die Klinik.
Die Telefonistin bestätigt mir meine Vermutung. Khalid hat seit einigen Tagen frei.
Heulend verlasse ich die Telefonzelle.
Die Entscheidung, welchen Weg ich jetzt einschlagen soll, lässt sich nicht einfach fällen. Soll ich den steinigen Weg zurück zu meiner Familie gehen und hoffen, dass niemand meinen Alleingang registriert hat oder soll ich versuchen, ohne einen Millime aus diesem Land zu fliehen?
Wegen meiner Finanzkrise beuge ich mich dem Schicksal und trotte depressiv nach Haus.
Wiedersehen
Vor unserem Hochzeitspalast steht das leere Hochzeitsauto. Walda und Ali Baba sind wieder in ihrem Revier und haben unwiderruflich mein Fehlen bemerkt. Katastrophal.
Vor dem Haus reiße ich mir das Geistergewand vom Körper. Das Tuch verstecke ich in der Türnische.
Ich steige stufenweise hoch und mische mich unter den Gästen. Sie werden
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