Reise in die Unterwelt
seines Siegels zu kommen.«
»Siegel?«
»Das Amulett, mit dessen Hilfe er herbeigerufen werden kann. Als wir es hatten, zerbrach unsere Partnerschaft. Am gleichen Abend, nachdem wir es erstanden hatten, betrat ich den Raum, in dem wir es aufbewahrten, um mich zu vergewissern, daß es dort auch sicher war, und mußte feststellen, daß mein Partner es bereits gestohlen hatte. Damit begann die Tragikomödie, denn abwechselnd stahlen wir das Amulett voneinander. Ihr müßt wissen, es ist ein sehr leicht an sich zu bringendes Objekt, aber ungemein schwierig, es auch zu behalten. Ehe man es benutzen kann, muß es sich erst eine geraume Zeit im Besitz ein und derselben Person befinden. Deshalb konnte keiner von uns es gleich anwenden, wenn wir es zurückgewonnen hatten. Das bedeutete, daß es erst eine Weile irgendwo aufbewahrt werden mußte. Es spricht auf Magnetismus an, deshalb konnte es schnell aufgespürt und an sich genommen werden. Doch dann sah es eine Zeitlang so aus, als hätte Karf ein besseres Versteck gefunden und würde in der Lage sein, es lange genug zu besitzen, um es benutzen zu können. Was natürlich bedeutete, daß der Kobold ihm gehorchen müßte. Das Versteck war er selbst. Er war an einen Zauberspruch gekommen, der das Siegel mit seinem Körper verschmolz.« Tor hielt inne und schmunzelte.
Cugel zuckte zusammen, als eine der grünen Ratten an seiner Ferse zu knabbern begann. »Wir dürfen aber annehmen, daß es Euch irgendwie gelungen ist, Karf zu übertölpeln und das Amulett aus seinem Fleisch zu holen«, sagte er. Tor nickte lächelnd und öffnete den Mund. In diesem Augenblick schrie Mumber Sull: »Die Wände! Die Decke! Seht doch!«
Gliedmaßen aller Arten: Arme, Beine, Fühler, Tentakel, Rüssel, ja sogar mechanische Greifwerkzeuge sprossen aus den Wänden und der Decke und begannen blind in alle Richtungen zu tasten.
Tor sprang wütend auf. »Unverschämter Größenwahnsinniger! Er versucht nun eine etwas kühnere Taktik. Doch ich bin bereit!« Er öffnete weit die Arme und stieß – aus welchem Körperteil war unmöglich festzustellen – eine Unmenge von gelben Stachelkröten aus, die über die Gliedmaßen und Greifwerkzeuge herfielen und sie mit ätzender Flüssigkeit bespuckten. Bei der Berührung begannen die fleischigeren der Glieder aufzuschwellen und zu verrotten, und die hornigen und knorpligen fingen zu brennen an, als die Kröten in ihrem Griff explodierten. Überall zogen sich die verfaulenden oder rauchenden Stümpfe zurück, hinterließen jedoch häßliche Flecken und Löcher in den Wänden.
Wie bei den Ratten hatte Tor auch diesmal zuviel der Abwehrkreaturen herbeigerufen. Jene, die nicht zermalmt oder explodiert waren, und das war eine beachtliche Zahl, verkrochen sich unter den Möbelstücken. Dort stießen sie auf die grünen Ratten. Sofort begann ein Kampf auf Leben und Tod zwischen diesen verschiedenen Zauberwesen. Gewöhnlich endete er, wenn die Kröte explodierte und die Überreste der Ratte um die Beine der Menschen flogen.
Nach einer dieser ekligen Explosionen flüsterte Cugel Polderbag zu: »Dieser Zauberer scheint mir in seinen Mitteln ein wenig unbedacht.« Tor konnte ihn nicht hören, da er sich am anderen Ende des Zimmers befand.
Polderbag schüttelte den Kopf. »Ihr irrt Euch, wenn Ihr diesen Mann für einen Magier haltet. Nach dem Reichtum seines Hauses zu schließen, ist er ein Zaubermittelkaufmann, der sein Vermögen durch den Handel mit der Unterwelt gemacht hat. Offenbar geriet er jedoch in Schulden, und seine Gläubiger, die Dämonen, haben ihn sich mitsamt seinem Haus geholt. Seine Unfähigkeit weist ihn als Mann aus, der seine Macht auf zu leichte Weise gewann und nicht durch ein lebenslanges Studium und gewissenhafte Anwendung des Gelernten. Ich erwähnte bereits die wachsende Zahl seinesgleichen in Millions Gather. Er mußte dasselbe Geschick erleiden wie alle anderen Opfer der listigen Dämonen, und genau wie alle anderen ist er zu sehr in seine persönliche Vendetta vertieft, um auch nur zu bemerken, daß er bereits in der Hand der Unterweltkreaturen ist.«
Tor kam zurück und setzte sich mit siegesbewußtem Lächeln in seinen Sessel. Die kämpfenden Ratten und Kröten ignorierte er. Er füllte die Gläser ein drittes Mal mit dem köstlichen Branntwein und fuhr noch selbstzufriedener als zuvor in seinem Bericht fort. »Ja, meine Strategie, Karfs so listigen Plan zu durchkreuzen, ist wahrhaftig bewundernswert. Nun, jedenfalls schaffte ich es.
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