Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
Geschwätz der Fischerinnen geradezu sprichwörtlich ist. Hier stießen die Reisenden wieder auf den Weg, den sie bereits in Begleitung von Miss Amelia und ihren Eltern gegangen waren; diese liebenswerte Familie hatte ihre Villa in der Inverleith Row zwar verlassen, aber den Dienstboten die Sorge um die im Vestibül abgestellten Koffer und anderen Gepäckstücke übertragen. Jonathan war also von der quälenden Angst befreit, nicht wieder in den Besitz seines Gepäcks zu gelangen; er war damit einverstanden, diese Gegenstände am selben Abend abzuholen, um sie zur Eisenbahnstation zu schaffen. Sobald dieser Plan gefaßt war, brauchten sie nur noch am Bahnhof die Abfahrtszeit nach London in Erfahrung zu bringen; also kehrten sie zur General Station zurück, wo der North British Railway ankam. Unter schier unvorstellbaren Schwierigkeiten gelang es ihnen herauszufinden, daß der Zug um acht Uhr abends abfahren würde. Als auch dies feststand und nach einem hastigen Dinner in der High Street, wo Jacques eine
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probieren wollte, eine Schildkrötensuppe, bei der die Chelonia durch einen Kalbskopf ersetzt wird, der in einer scharf gewürzten Brühe schwimmt, sagten sie diesem hinreißenden Ort, den sie nun endgültig verlassen mußten, ein letztes Lebewohl.
Ein wenig niedergeschlagen gingen die beiden Freunde noch einmal die alte Canongate hinunter, grüßten den Holyroodpalast, schlenderten durch die North Bridge Street, kauften von einer hübschen Händlerin verschiedene Dinge aus Tartanstoff, so zum Beispiel eine Anstecknadel, Geldbörsen, Nadelkissen und Briefmarkenetuis, die sich durch die Farben der verschiedenen Clans wie Mac Gregor, Mac Donald, Mac Lean, Stuart oder Colquham auszeichneten, und kehrten dann zum Droschkenplatz in der Princes Street zurück. Eine Stunde später trafen sie mit ihrem Gepäck am Bahnhof ein, und Jacques warf, ziemlich gerührt, einen letzten Blick auf das Schloß von Edinburgh.
Beim North British Railway herrschte großes Gedränge; die buchstäblich belagerten Büros konnten der Nachfrage nach Fahrkarten nicht genügen; ein endloses Stimmengewirr, das hin und wieder von lautem Gezeter übertönt wurde, erfüllte den Saal. Nur mit Müh und Not schaffte es Jonathan, zum Schalter vorzudringen; er verlangte zwei Plätze nach London und bezahlte für sie einen Preis, den er sich nicht recht erklären konnte.
Er glaubte, seinen Koffer mit ins Abteil nehmen zu können, wie es in Liverpool der Fall gewesen war. Doch als er einen Blick in die Ecke warf, wo der Bahnhofsbedienstete ihn abgestellt hatte, sah er nichts mehr!
»Jacques, was hast du mit unseren Koffern getan? Hast du denn nicht auf sie aufgepaßt, während ich die Fahrkarten kaufte?«
Jacques wußte nicht recht, was er antworten sollte; doch als seine Blicke sich unter ein düsteres Gewölbe verirrten, sah er das Gepäck in einem finsteren Loch verschwinden, einem Abgrund, dessen Tiefe man nicht ausloten konnte.
»Es hat ganz den Anschein, als würde hier das Frachtgut abgefertigt werden! Wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen und können unsere Gepäckscheine verlangen!«
Aber diese gewiß indiskrete Bitte wurde von den Angestellten kategorisch zurückgewiesen.
»Wenn wir unsere Koffer jemals wiedersehen«, sagte Jonathan bestürzt, »können wir von Glück reden! Und ich habe auch noch den Reisepaß hineingesteckt!«
Sie hatten keine Zeit mehr, sich noch länger diesen fruchtlosen Überlegungen hinzugeben. Ein Menschengewimmel wogte auf der Steintreppe, die zum Abfahrtsbahnsteig führte – man hätte meinen können, ein schäumender Sturzbach, der unterschiedlichst geformte Köpfe dahinwälzt.
»Das ist die Kaskade von Inversnaid, nur etwas lauter, mein lieber Jonathan, aber wir sollten besser nicht scherzen, denn wir sind zwei Wassertropfen in diesem Wildbach!«
Nach vielen Mühen erreichten die Freunde schließlich halb erstickt den Zug, der sich aus einer langen Reihe von Wagen zusammensetzte, und man muß noch hinzufügen, daß sie alle mehr oder weniger voll waren. Jacques lief in die eine Richtung, Jonathan in die andere; durch jede Wagentür warfen sie einen prüfenden Blick, ohne jedoch einen freien Platz zu finden; der Zug schien überfüllt zu sein und in jedem Augenblick abfahren zu wollen; ihre Enttäuschung wuchs mit der Aussichtslosigkeit, ihre verschwundenen Koffer zurückzubekommen. Endlich, als gerade der schrille Pfiff der Lokomotive durch die Luft gellte, entdeckte Jacques in einem Wagen
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