Reise nach Genf
ebensowenig wie Briefmarken und den Feldstecher. Die zwei Dosen Ölsardinen allerdings ließ ich in weiser Absicht zurück: Man kann nie wissen, wie abgerissen man heimkehrt, und nichts macht depressiver als ein leerer Eisschrank mit einer halben Tube Senf aus dem vergangenen Jahr.
Es fehlte nur noch die Rasur, die Dusche, frische Kleider und ein fröhliches Lied auf den Lippen.
Als ich duschte, lärmte jemand unten im Flur herum und sprach offensichtlich mit sich und der Welt. Ich stellte mich nackt und triefend auf die Treppe und sagte: »Ja bitte?«
Es war mein Freund und Hausbesitzer Alfred, der grinsend und verschwitzt feststellte: »Also erstens ist es so, daß ich ein Bier brauchen könnte.«
»Im Eisschrank.«
»Und zweitens ist es so, daß du eben mal runterkommen kannst. Helfen beim Abladen.«
»Beim Abladen wovon?«
»Heu. Nicht viel, drei- bis vierhundert Ballen.«
Ich nickte, da ich mir bewußt bin, daß man die Landwirtschaft unterstützen muß. Ich zog mir also Arbeitskleider an und ging nebenan vor die Scheune. Er hatte das Laufband schon in Betrieb, stand oben an der Luke und sagte fröhlich: »Los geht’s!«
Es dauerte eine Stunde, ich war verdreckt und verschwitzt, und es schien mir durchaus nicht mehr sicher, daß Watermann eine gute Recherche sein würde. Ich zog mich nachdenklich ins Badezimmer zurück, stellte mich erneut unter die Dusche und begann mich langsam wohl zu fühlen. Ein kleiner Ausflug, das war es, was ich jetzt brauchte.
Krümel trottete mit mir zum Jeep, sah den letzten Gepäckstücken nach und wußte, sie würde nicht mitfahren können. Da war sie beleidigt und verschwand. Ich gab Gas und dachte, daß es manchmal verdammt gut war, die Eifel einige hundert Kilometer hinter sich zu lassen. Ich fuhr stracks nach Köln und weiter über die A1 in Richtung Bremen und hielt erst wieder an, als ich tanken mußte. Die Bratwurst, die ich mir an der Raststätte gönnte, schmeckte so schlecht, daß vorsichtige Leute wahrscheinlich gleich das nächste Krankenhaus aufgesucht hätten.
Ich fühlte mich gut, ich wollte wissen, was mit Watermann geschehen war, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie oft ich diesen Entschluß noch bereuen würde.
War es möglich, Watermanns Fall in wenigen Sätzen zu beschreiben, war Watermann überhaupt faßbar? Ich versuchte es.
Da ist jemand mit einer kometenhaften Karriere als Berufspolitiker. Ein Christ, oder besser, einer, der auf christlich macht. Im Sog irgendeines politischen Mäzens wird er Minister, Parteichef, Ministerpräsident eines Bundeslandes. Er mag Macht, er mag sie sehr, und als sie seine Droge ist, wird der Mann unkontrollierbar. Er steckt knietief im politischen Sumpf, er wittert Gefahr und schafft sie sich vom Hals, indem er politische Gegner mundtot macht, übel über sie redet, die Justiz gegen sie einzuspannen versucht. Als man ihm auf die Schliche kommt, gibt er dem Volk großäugig und großmäulig sein Ehrenwort. Dann besteigt er ein Flugzeug und reist in den Urlaub. Dort ruft ihn ein nie identifizierter Mann an und sagt, er habe ihm Entlastungsmaterial zu verkaufen, höchst wichtige Unterlagen. Gut, sagt Watermann, ich komme! Er fliegt nach Genf ins Hotel ›Beau Rivage‹. Dort findet man ihn dann, vollkommen angezogen, korrekt gekleidet in einem seiner schrecklichen korrekten Anzüge. Er liegt in der mit Wasser gefüllten Badewanne seines Apartments und ist tot. Nach quälenden Tagen lautet der Befund der Gerichtsmedizin: Tod durch Einnahme von Medikamenten, Selbstmord!
Dabei glaubt die halbe Nation fest daran, er sei ermordet worden, oder wie es an den Stammtischen heißt: Irgend etwas stimmt da nicht.
Später, als vollmundig und christlich verlogen behauptet wird, er sei freiwillig zum Sterben in die gemietete Badewanne gestiegen, stellt sich heraus, daß er in Verbindung zu dubiosen Waffenhändlern stand, daß er viel wußte vom illegalen Verkauf von deutschen U-Boot-Plänen nach Südafrika, daß er in der Ex-DDR heimlich auf Staatsbesuch war, daß er dort etwas mit Geheimdienst-Nutten hatte, dabei gefilmt worden war, daß viele Menschen Grund gehabt hatten, ihn zu hassen.
Nur die Ehefrau und der Bruder behaupten mit eisern lächelnder Beharrlichkeit: Er ist ermordet worden! Bist du ermordet worden, Watermann?
Ich dachte wütend: Lieber Himmel, wie kann ein Mann von Gran Canaria nach Genf reisen, um Entlastungsmaterial zu kaufen, wenn er doch weiß, daß es gar kein Entlastungsmaterial geben kann? Aber da
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