Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
fest, wie hervorragend seine Muskulatur beschaffen war. Es war, als hätte die Erinnerung an die Begegnung jeden Muskel seines Rumpfes aktiviert. »In einer solchen Situation«, fuhr er fort, »muß man immer den Mund schließen.« Er wandte sich an Don Juan und meinte: »Ist es nicht so?«
    »Ja«, sagte Don Juan ruhig. »Der Schlag, der einem versetzt wird, wenn man den Verbündeten packt, ist so stark, daß man sich die Zunge abbeißen oder die Zähne ausschlagen könnte. Der Körper muß aufgerichtet und gut im Gleichgewicht sein, die Füße müssen sich auf den Boden stemmen.«
    Don Genaro stand auf und zeigte mir die richtige Haltung. Er hatte die Knie leicht gebeugt, die Arme hingen mit gekrümmten Fingern seitlich herab. Er schien entspannt und trotzdem fest am Boden verankert. In dieser Haltung verharrte er einen Augenblick, und als ich meinte, er würde sich hinsetzen, stürzte er sich plötzlich mit einem gewaltigen Satz nach vorn, als habe er Springfedern an den Fersen. Diese Bewegung geschah so plötzlich, daß ich rückwärts fiel. Aber im Fallen hatte ich deutlich den Eindruck, daß Don Genaro einen Mann oder etwas, das die Figur eines Mannes hatte, anpackte.
    Ich setzte mich wieder auf. Don Genaros Körper stand immer noch unter einer ungeheuren Anspannung, dann lockerte er unvermittelt die Muskeln, ging an den Platz zurück, wo er gesessen hatte und ließ sich nieder.
    »Carlos hat eben deinen Verbündeten gesehen«, bemerkte Don Juan beiläufig, »aber er ist immer noch schwach und fiel um.«
»Ist das wahr?« fragte Don Genaro in naivem Ton und riß die Nasenlöcher auf.
    Don Juan versicherte, ich hätte ihn tatsächlich »gesehen«. Don Genaro sprang erneut mit solcher Vehemenz nach vorn, daß ich zur Seite fiel. Sein Sprung war so plötzlich, daß ich beim besten Willen nicht wußte, wie er aus der sitzenden Haltung auf die Füße gesprungen war, um sich nach vorn zu stürzen. Beide lachten laut, und dann schlug Don Genaros Lachen in ein Geheul um, das von dem eines Coyoten nicht zu unterscheiden war. »Glaub nicht, daß du genau wie Genaro springen mußt, um deinen Verbündeten zu packen«, sagte Don Juan beschwichtigend. »Genaro springt so gut, weil ihm sein Verbündeter hilft. Du brauchst nichts anderes zu tun, als dir einen festen Stand zu sichern, um die Wucht auszuhalten. Du mußt so stehen wie Genaro, bevor er sprang, dann mußt du nach vorn springen und den Verbündeten packen.«
    »Zuerst muß er sein Amulett küssen«, warf Don Genaro ein. In gespieltem Ernst sagte Don Juan, daß ich kein Amulett habe. »Und seine Notizbücher?« beharrte Don Genaro. »Er muß etwas mit den Notizbüchern machen - sie vielleicht irgendwo deponieren, bevor er springt, oder gar versuchen, mit ihnen auf den Verbündeten einzuschlagen.«
    »Verflucht will ich sein«, sagte Don Juan, anscheinend echt überrascht. »Daran habe ich nicht gedacht. Ich wette, das ist das erstemal, daß ein Verbündeter mit Notizbüchern zu Boden geschlagen wird.«
    Nachdem Don Juans Gelächter und Don Genaros Coyotengeheul sich gelegt hatten, waren wir alle sehr guter Laune. »Was geschah, als du den Verbündeten packtest, Don Genaro?«
»Es war ein gewaltiger Schlag«, sagte Don Genaro nach kurzem Zögern. Anscheinend hatte er nun seine Gedanken geordnet. »Nie hätte ich mir vorgestellt, daß es so sein würde«, fuhr er fort. »Es war etwas, etwas, etwas, das ich einfach nicht beschreiben kann. Nachdem ich ihn gepackt hatte, wirbelten wir umeinander. Der Verbündete schleuderte mich herum, doch ich ließ nicht von ihm ab. Wir wirbelten so schnell und mit solcher Gewalt durch die Luft, daß ich nichts mehr sah. Alles war neblig. Das Herumwirbeln ging weiter und weiter und weiter. Plötzlich spürte ich, daß ich wieder am Boden stand. Ich sah an mir hinab. Der Verbündete hatte mich nicht getötet. Ich war heil und ganz. Ich war noch ich selbst. Ich wußte, daß ich gesiegt hatte. Endlich hatte ich einen Verbündeten. Ich sprang vor Freude in die Luft. Welch ein Gefühl! Welch ein Gefühl das war! Dann sah ich mich um, um festzustellen, wo ich war. Die Umgebung war mir unbekannt. Ich dachte, der Verbündete mußte mich wohl durch die Luft geführt und irgendwo abgesetzt haben, weit weg von der Stelle, wo unser Kreiseln angefangen hatte. Ich glaubte, meine Heimat müsse im Osten liegen, daher machte ich mich in diese Richtung auf. Es war noch früh am Tag. Die Begegnung mit dem Verbündeten hatte nicht sehr lange gedauert. Bald

Weitere Kostenlose Bücher