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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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lange Warten sich auf mich ausgewirkt, oder vielleicht auch die Einsamkeit des Ortes, wo der Vogel und ich uns befanden; plötzlich spürte ich ein Frösteln über den Rücken laufen, und unvermittelt stand ich auf und ging weg. Ich sah mich nicht einmal um, ob der Vogel davongeflogen war.
    Ich hatte diesem letzten Akt der Geschichte mit dem Albino-Falken nie irgendwelche Bedeutung beigemessen. Gleichwohl war es sehr eigenartig, daß ich nicht auf ihn geschossen hatte. Zuvor hatte ich Dutzende Falken geschossen. Auf der Farm, wo ich aufwuchs, war es ganz selbstverständlich, Vögel zu schießen und alle Arten Tiere zu jagen.
    Don Juan hörte aufmerksam zu, als ich ihm die Geschichte von dem Albino-Falken erzählte.
    »Wie konntest du etwas von dem weißen Falken wissen?« fragte ich, nachdem ich geendet hatte. »Ich sah ihn«, antwortete er. »Wo?«
»Direkt hier vor dir.«
    Ich war nun nicht mehr in streitlustiger Stimmung. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte ich. Er sagte, ein weißer Vogel wie dieser sei ein Omen, und es sei das einzig richtige gewesen, ihn nicht abzuschießen. »Dein Tod gab dir eine kleine Warnung«, sagte er mit geheimnisvoller Stimme. »Sie kündet sich immer mit einem Frösteln an.«
»Wovon sprichst du?« fragte ich nervös.
    Er machte mich wirklich nervös mit seinen gespenstischen Reden. »Du weißt eine Menge über Vögel«, sagte er. »Du hast so viele von ihnen getötet. Du verstehst zu warten. Du hast stundenlang geduldig gewartet. Das weiß ich, ich sehe es.« Seine Worte lösten bei mir eine starke Unruhe aus. Was mich am meisten an ihm störte, dachte ich, war seine Sicherheit. Ich konnte seine dogmatische Gewißheit in Fragen meines eigenen Lebens, über die ich mir selbst nicht im klaren war, nicht ertragen. Ich gab mich meinen trübseligen Gefühlen hin und bemerkte nicht, wie er sich über mich beugte, bis er mir etwas ins Ohr flüsterte. Ich verstand zunächst nicht, und er wiederholte es. Er befahl mir, mich beiläufig umzudrehen und einen Felsblock zu meiner Linken anzusehen. Er sagte, dort sitze mein Tod und starre mich an, und wenn ich mich umdrehte, sobald er mir ein Zeichen gäbe, könne ich ihn vielleicht sehen.
    Er gab mir mit den Augen das Zeichen. Ich drehte mich um und glaubte eine flimmernde Bewegung über dem Felsen wahrzunehmen. Ein Schauder lief durch meinen Körper, die Muskeln meines Unterleibs zogen sich unwillkürlich zusammen und ich bekam einen schockartigen Krampf. Im nächsten Moment gewann ich meine Fassung wieder und den Eindruck, einen flimmernden Schatten gesehen zu haben, erklärte ich mir als optische Illusion hinweg - dadurch verursacht, daß ich meinen Kopf so plötzlich gedreht hatte.
    »Der Tod ist unser ewiger Begleiter«, sagte Don Juan mit sehr ernster Miene. »Er ist immer zu unserer Linken, eine Armeslänge entfernt. Er hat dir zugesehen, als du den weißen Falken beobachtetest. Er flüsterte dir etwas ins Ohr und du spürtest den Schauder, wie du ihn heute spürtest. Er hat dich immer beobachtet. Er wird es immer tun, bis zu dem Tag, an dem er dich anrührt.« Er streckte seinen Arm aus, berührte mich leicht an der Schulter und machte gleichzeitig mit der Zunge ein dumpfes, schnalzendes Geräusch. Die Wirkung war verheerend; ich mußte mich beinah übergeben.
    »Du bist der Junge, der auf die Pirsch ging und geduldig wartete, genau wie der Tod wartet; du weißt ganz gut, daß der Tod zu unserer Linken sitzt, genau wie du zur Linken des weißen Falken gesessen hast.«
    Seine Worte hatten die seltsame Macht, mich in einen unverhältnismäßigen Schrecken zu stürzen; meine einzige Abwehr bestand darin, zwanghaft alles aufzuschreiben, was er sagte. »Wie kann sich jemand nur so wichtig vorkommen, wo wir wissen, daß der Tod uns umschleicht?« fragte er.
    Ich hatte das Gefühl, daß eine Antwort sich erübrigte. Ich hätte ohnehin nichts sagen können. Eine neue Stimmung hatte von mir Besitz ergriffen.
    »Was du tun mußt, wenn du ungeduldig bist«, fuhr er fort, »ist dies: Wende dich nach links und frag deinen Tod um Rat. Ungeheuer viel Belangloses fällt von dir ab, wenn dein Tod dir ein Zeichen gibt, wenn du einen Blick auf ihn werfen kannst, oder, wenn du einfach das Gefühl hast, daß dein Begleiter da ist und dich beobachtet.« Wieder beugte er sich herüber und flüsterte mir ins Ohr, daß ich, wenn ich mich auf sein Zeichen hin plötzlich nach links wendete, noch einmal meinen Tod auf dem Felsen sehen könne. Er gab mir mit den

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