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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Vogel?« rief ich.
    Er kicherte wie ein Kind und wandte die Augen von mir ab. »Ja«, sagte er sanft. »Ein Vogel. Ein sehr spaßiger Vogel.« Er heftete wieder seinen Blick auf mich und forderte mich auf, mich zu erinnern. Mit erstaunlicher Überzeugung sagte er, ich »wisse« es bereits. Ich hätte diesen Blick schon voher einmal gesehen. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, daß der alte Mann mich, gegen meinen aufrichtigen Wunsch, provozierte, sobald er nur den Mund auftat. Ich erwiderte seinen Blick mit unverhohlenem Trotz. Statt böse zu werden, fing er an zu lachen. Er schlug sich auf die Schenkel und stieß einen Schrei aus, als jage er auf einem wilden Pferd dahin. Dann wurde er ernst und sagte, es sei von größter Wichtigkeit, daß ich aufhörte ihn zu bekämpfen und mich an den Vogel erinnerte, von dem er sprach. »Schau mir in die Augen«, sagte er.
    Seine Augen waren ungemein wild. Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß sie mich tatsächlich an etwas erinnerten, aber ich war nicht sicher, an was. Ich sann einen Augenblick darüber nach, und dann hatte ich eine augenblickliche Erleuchtung; es war nicht die Form seiner Augen, auch nicht die Form seines Kopfes, sondern irgendeine kalte Wildheit in seinem Blick, die mich an die Augen eines Falken erinnerte. Gerade als ich dies erkannte, sah er mich schief an, und für eine Sekunde stürzte mein Bewußtsein in völliges Chaos. Mir war, als hätte ich statt Don Juans Zügen den Kopf eines Falken gesehen. Das Bild war zu flüchtig, und ich war zu verwirrt, als daß ich es aufmerksamer hätte prüfen können. Ganz aufgeregt sagte ich ihm, ich könne schwören, daß ich in seinem Gesicht die Züge eines Falken erkannt hätte. Wieder bekam er einen Lachanfall.
    Ich kenne den Blick in den Augen von Falken. Als Junge hatte ich sie gejagt und war, wie mein Großvater meinte, ein guter Jäger gewesen. Er hatte eine LeghornHühnerfarm, und die Falken bedrohten sein Geschäft. Sie zu schießen, war daher nicht nur nützlich, sondern auch »richtig«. Bis zu diesem Augenblick hatte ich vergessen, daß der wilde Blick aus ihren Augen mich jahrelang verfolgt hatte; doch das lag in so ferner Vergangenheit, daß ich die Erinnerung daran verloren zu haben meinte. »Ich habe Falken gejagt«, sagte ich. »Ich weiß«, sagte Don Juan nüchtern. In seiner Stimme lag so viel Gewißheit, .daß ich lachen mußte. Er kam mir albern vor. Hatte er doch die Frechheit, so zu tun, als wisse er, daß ich Falken gejagt hatte. Ich empfand tiefe Verachtung für ihn.
    »Warum wirst du so böse?« fragte er mit wirklicher Besorgnis. Ich wußte nicht, warum. Er fing an, mich auf eine sehr eigenwillige Art auf die Probe zu stellen. Er forderte mich auf, ihn wieder anzusehen und ihm zu sagen, an welchen »sehr spaßigen Vogel« er mich erinnere. Ich versuchte mich ihm zu widersetzen und sagte geringschätzig, da gebe es nichts zu sagen. Dann konnte ich aber doch nicht widerstehen, ihn zu fragen, warum er behauptet hatte, er wisse, daß ich Falken gejagt hatte. Statt zu antworten, ließ er sich wieder über mein Verhalten aus. Er hielt mir vor, ich sei ein heftiger Mensch, jederzeit bereit, mich mit »Schaum vor dem Mund« zu ereifern. Ich protestierte, das sei nicht wahr. Ich hätte immer von mir geglaubt, eher umgänglich und verträglich zu sein. Ich sagte, es sei seine Schuld, daß er mich mit seinen unberechenbaren Worten und Taten um die Beherrschung brächte. »Warum dieser Ärger?« fragte er.
    Ich überprüfte meine Gefühle und Reaktionen. Ich hatte wirklich keinen Grund, wütend auf ihn zu sein.
    Wieder drängte er mich, ihm in die Augen zu sehen und ihm etwas über den »seltsamen Falken« zu sagen. Er hatte nun ein anderes Wort gewählt; vorhin hatte er von einem »sehr spaßigen Vogel« gesprochen, nun sagte er statt dessen: »ein seltsamer Falke«. Diese Änderung der Wortwahl entsprach ein Umschwung meiner Stimmung. Plötzlich war ich traurig. Er kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und
    sagte mit äußerst dramatischer Stimme, er „sehe" einen sehr seltsamen Falken. Diesen Satz wiederholte er dreimal, als sähe er ihn tatsächlich vor sich. »Erinnerst du dich nicht an ihn?« fragte er. Ich konnte mich auf nichts dergleichen besinnen. »Was ist so seltsam an dem Falken?« fragte ich. »Das mußt du mir sagen«, antwortete er.
    Ich bestand darauf, daß ich beim besten Willen nicht wisse, was er meinte, und ihm daher nichts sagen könne. »Kämpfe nicht gegen mich«, sagte

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