Reise nach Ixtlan.
die meine Gedanken lange gekreist waren. Drei Monate war ich von der Erinnerung an den Albino-Falken besessen gewesen. Wie hatte er das wissen können, wo ich selbst es doch vergessen hatte?
Er lachte, antwortete aber nicht. Ich drängte ihn, es mir zu sagen.
»Es war nichts«, sagte er mit seiner üblichen Überzeugung. »Jeder könnte dir sagen, daß du seltsam bist. Du bist ganz einfach taub, das ist alles.«
Ich glaubte, er wolle mich wieder aus der Fassung bringen und mich in eine Ecke drängen, in der ich mich nicht wohlfühlte. »Ist es möglich, daß wir unseren Tod sehen?« fragte ich und versuchte damit, beim Thema zu bleiben. »Sicher«, sagte er lachend. »Er ist hier neben uns.«
»Woher weißt du das?«
»Ich bin ein alter Mann. Wenn man älter wird, lernt man allerhand.«
»Ich kenne viele alte Leute, aber das haben sie nie gelernt. Wie kommt es, daß du es gelernt hast?«
»Nun, sagen wir, ich weiß alles mögliche, weil ich keine persönliche Geschichte habe, weil ich mich nicht wichtig fühle, und weil mein Tod direkt hier neben mir sitzt.« Er streckte den Arm aus und bewegte die Finger, als streichelte er tatsächlich irgend etwas.
Ich lachte. Ich wußte, worauf er hinaus wollte. Der alte Teufel wollte mich wieder auf die Probe stellen, wahrscheinlich mit meiner Selbstüberschätzung, aber diesmal machte es mir nichts aus. Die Erinnerung daran, daß ich einmal so große Geduld bewiesen hatte, erfüllte mich mit seltsamer, stiller Euphorie, die meine Nervosität und Intoleranz gegenüber Don Juan fast völlig vertrieben hatte; was ich stattdessen empfand, war Verwunderung über sein Tun. »Wer bist du wirklich?« fragte ich.
Er schien überrascht. Er öffnete die Augen zu enormem Umfang und blinzelte wie ein Vogel, wobei er die Lider wie Roiläden herabließ. Sie senkten und hoben sich wieder, und sein Blick blieb unverändert auf einen Punkt gerichtet. Sein Gehabe verblüffte mich, und ich schrak zurück; er lachte mit kindlicher Hingabe. »Für dich bin ich Juan Matus, und ich stehe dir zu Diensten«, sagte er mit übertriebener Höflichkeit. Dann stellte ich meine nächste brennende Frage: »Was hast du mit mir gemacht, als wir uns das erstemal trafen?« Ich bezog mich auf den Blick, den er mir zugeworfen hatte. »Ich? - Nichts«, antwortete er in unschuldigem Ton. Ich schilderte ihm, wie mir zumute gewesen war, als er mich angesehen, und wie widersinnig ich es empfunden hatte, daß ich kein Wort hatte hervorbringen können. Er lachte, bis ihm die Tränen über die Wangen liefen. Wieder fühlte ich in mir eine Welle des Unwillens gegen ihn hochsteigen. Ich dachte daran, wie ernsthaft und nachdenklich ich war, und wie »indianisch« er auf seine plumpe Art war. Offenbar erspürte er meine Stimmung und hörte ganz plötzlich auf zu lachen.
Nach langem Zögern sagte ich ihm, sein Lachen habe mich in Wut versetzt, denn ich gäbe mir so ernsthafte Mühe, zu verstehen, was mit mir geschehen sei. »Da ist nichts zu verstehen«, antwortete er ungerührt. Ich zählte ihm die Folge ungewöhnlicher Ereignisse auf, die sich zugetragen hatten, seit ich ihn kannte: Der geheimnisvolle Blick, mit dem er mich angesehen hatte; die Erinnerung an den Albino-Falken; der Schatten, den ich auf dem Felsblock gesehen hatte, von dem er sagte, er sei mein Tod gewesen. »Warum machst du dies alles mit mir?« fragte ich. In meiner Frage lag keinerlei Streitlust. Ich war nur neugierig, warum gerade ich es war.
»Du hast mich gebeten, dir zu sagen, was ich über Pflanzen weiß«, sagte er. Ich stellte einen Anflug von Sarkasmus in seiner Stimme fest. Es klang so, als machte er sich über mich lustig. »Aber was du mir bislang erzählt hast, hat nichts mit Pflanzen zu tun«, wandte ich ein.
Seine Antwort lautete, daß es Zeit brauchte, etwas über sie zu lernen. Ich hatte den Eindruck, daß es sinnlos sei, mit ihm zu streiten. Ich erkannte nun die völlige Idiotie der leichtfertigen, absurden Beschlüsse, die ich gefaßt hatte. Noch zu Hause hatte ich mir vorgenommen, daß ich nie wieder aus der Fassung geraten oder auf Don Juan wütend werden wollte. Doch nun, da ich ihm gegenüberstand, befiel mich gleich bei der ersten Zurechtweisung abermals schlechte Laune. Ich glaubte, daß eine Gegenseitigkeit zwischen ihm und mir unmöglich sei, und das ärgerte mich. »Denk jetzt an deinen Tod«, sagte Don Juan plötzlich. »Er steht in Armesweite. Er kann dich jeden Augenblick ereilen, du hast also wirklich keine
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