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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Ich taumelte
    im Innern des Kreises zu Boden. Die Zweige bildeten ein recht weiches Bett, und ich schlief sofort ein.
    Am späten Nachmittag erwachte ich. Es war windig und bewölkt. Direkt über uns standen kompakte Haufenwolken, doch weiter westlich waren es feine Zirruswolken, und von Zeit zu Zeit schien die Sonne über das Land.
    Der Schlaf hatte mich erquickt. Ich fühlte mich gestärkt und glücklich. Der Wind machte mir nichts aus. Ich fror nicht. Ich stützte den Kopf auf die Arme und sah mich um. Vorhin war mir nichts aufgefallen, außer, daß der Gipfel ziemlich hoch war. Die Aussicht nach Westen war eindrucksvoll. Ich sah eine weite, hügelige Landschaft und dahinter die Wüste. Im Norden und Osten lag eine Kette dunkelbrauner Berggipfel, und nach Süden erstreckte sich die endlose Weite von Ebenen, Hügeln und fernen blauen Bergen.
    Ich setzte mich auf. Don Juan war nirgends zu sehen. Plötzlich!; packte mich die Angst. Vielleicht, dachte ich, hatte er mich hier allein gelassen, und ich kannte den Rückweg zum Auto nicht. Ich streckte mich wieder auf das Polster aus Zweigen, und seltsamerweise schwand meine Besorgnis. Wieder empfand ich ein Gefühl der Ruhe, ein wunderbares Wohlgefühl. Das war für mich eine ganz neue Empfindung; mein Denken war wie ausgeschaltet. Ich war glücklich. Ich fühlte mich gesund. Ein stilles, überströmendes« Glücksgefühl erfüllte mich. Aus Westen blies eine sanfte Brise und strich über meinen Körper hin, ohne daß ich fror. Ich spürte sie im Gesicht und an den Ohren wie eine Woge warmen Wassers, die mich umspülte, zurückwich und mich wieder umspülte. Es war ein eigenartiger Zustand, der in meinem geschäftigen, unruhigen Leben ohne Parallele war. Ich begann zu weinen, nicht aus Traurigkeit oder Selbstmitleid, sondern aus unfaßlicher, unerklärlicher Freude. Ich wollte für immer an diesem Platz bleiben und wäre vielleicht auch geblieben, wenn Don Juan nicht gekommen wäre und mich von dort fortgezerrt hätte. »Du hast genug gerastet«, sagte er und zog mich hoch. Ganz ruhig führte er mich im Kreis um den Gipfel herum. Wir wanderten langsam und schweigend. Es schien ihm daran zu liegen, daß ich die Landschaft um uns her genau beobachtete. Durch einen Wink mit den Augen oder mit dem Kinn wies er auf Wolken und Berge hin. Die Landschaft im Licht des Spätnachmittags war großartig. Sie rief in mir Gefühle der Ehrfurcht und der Verzweiflung hervor. Sie erinnerte mich an Bilder aus meiner Kindheit. Wir erklommen den höchsten Punkt des Gipfels, eine Zinne aus Eruptivgestein und setzten uns, den Blick nach Süden gerichtet, bequem mit dem Rücken gegen den Fels. Die endlose Weite des Landes dort im Süden war majestätisch.
    »Verankere all dies fest in deinem Gedächtnis«, flüsterte Don Juan mir ins Ohr. »Dies ist dein Platz. Heute morgen hast du gesehen, und das war das Omen. Du fandest diesen Platz, indem du sahst. Das Omen war unerwartet, aber es geschah.
    Du wirst die Kraft jagen, ob du es willst oder nicht. Dies ist keine menschliche Entscheidung, weder deine noch meine.
    Ja, genau gesagt, dieser Hügel ist der Platz, den du liebst; all dies um uns her steht unter deiner Obhut. Du mußt auf all dies gut aufpassen, und all dies wird wiederum auf dich aufpassen.« Ich fragte scherzhaft, ob wirklich all dies mir gehöre. Sehr ernst sagte er ja. Ich lachte und erzählte ihm, daß das, was wir hier taten, mich daran erinnerte, wie die Spanier, als sie die Neue Welt eroberten, das Land im Namen ihres Königs aufteilten. Sie stiegen auf einen Berggipfel und beanspruchten alles Land, das sie in einer Richtung überblicken konnten.
    »Das ist eine gute Idee«, sagte er. »Ich schenke dir alles Land, so weit du sehen kannst, nicht nur in einer Richtung, sondern rund um dich her.«
    Er stand auf und wies mit der Hand im Kreis, wobei sein Körper eine volle Drehung vollführte. »All dies Land gehört dir«, sagte er. Ich lachte laut auf. Er kicherte und fragte: »Wieso denn nicht? Wieso kann ich dir nicht dieses Land schenken?«
»Das Land gehört nicht dir«, sagte ich.
    »Na und? Den Spaniern gehörte es auch nicht, und trotzdem teilten sie es auf und gaben es fort. Warum kannst du es nicht genauso in Besitz nehmen?« Ich sah ihn prüfend an, um herauszufinden, welche Stimmung sich wirklich hinter seinem Lächeln verbarg. Er explodierte vor Lachen und wäre beinahe vom Felsen hinabgestürzt. »All das Land, so weit du sehen kannst, gehört dir«, fuhr er, immer

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