Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
stehen, und dann führte er mich auf eine andere Exkursion, um diese Pflanze zu suchen, diesmal aber in entgegengesetzter Richtung. Wir kämmten die Gegend durch und fanden, etwa anderthalb Kilometer entfernt, noch zwei weitere Büsche. Sie waren zusammengewachsen und stachen als ein Fleck intensiven, satten Grüns hervor, viel üppiger, als der übrige Pflanzenwuchs in der Umgebung. Don Juan sah mich mit ernster Miene an. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.
    »Das ist ein seltsames Omen«, sagte er.
    Wir kehrten zum ersten Gipfel zurück, wobei wir einen weiten Umweg machten, um ihn aus einer anderen Richtung zu erreichen. Don Juan gab sich anscheinend alle Mühe, mir zu beweisen, daß es hier sehr wenige solcher Pflanzen gab. Diesmal fanden wir unterwegs keine einzige. Als wir den Gipfel erreichten, setzten wir uns in völligem Schweigen nieder. Don Juan band seine Kalebassen los. »Nach dem Essen wirst du dich besser fühlen«, sagte er. Er konnte seine Freude nicht verbergen. Er zeigte ein strahlendes Lächeln, als er mir den Kopf tätschelte. Ich wußte nicht, woran ich war. Die neuen Geheimnisse waren beunruhigend, aber ich war zu hungrig und zu müde, um mich wirklich darum zu sorgen. Nach dem Essen wurde ich sehr schläfrig. Don Juan verlangte, ich solle jene Technik anwenden, bei der man schaut, ohne den Blick auf einen Punkt zu konzentrieren, um auf dem Hügel, wo ich den Busch gesehen hatte, einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Ich suchte einen aus. An dieser Stelle sammelte er die Pflanzenreste auf und ordnete sie in einem Kreis mit dem Durchmesser meines Körpers an. Ganz vorsichtig pflückte er ein paar frische Zweige von den Büschen und fegte damit das Innere der Kreisfläche. Er führte lediglich die Bewegung des Fegens aus, er berührte den Boden nicht wirklich mit den Zweigen. Dann suchte er im Innern des Kreises alle am Boden liegenden Steine zusammen und plazierte sie im Mittelpunkt, nachdem er sie peinlich genau nach ihrer Größe in zwei Haufen sortiert hatte. »Was tust du mit diesen Steinen?« fragte ich.
    »Das sind keine Steine«, sagte er. »Das sind Strahlen. Sie werden deinen Platz in der Schwebe halten.«
    Er nahm die kleineren Steine und markierte mit ihnen den Umfang des Kreises. Er ordnete sie in gleichen Abständen an und ließ wie ein Maurer jeden mit Hilfe eines  Grabstocks fest in den Boden ein.
    Er erlaubte mir nicht, den Kreis zu betreten, sondern befahl mir, außen herumzugehen und zu beobachten, was er tat. Er zählte, im Gegensinn des Uhrzeigers, achtzehn Steine ab. »Lauf jetzt zum Fuß des Hügels hinab und warte dort«, sagte er. »Ich werde an die Böschung kommen und nachsehen, ob du an der richtigen Stelle stehst.«
»Was hast du vor?«
    »Ich werde dir diese Strahlen einzeln zuwerfen«, sagte er und deutete auf den Haufen größerer Steine. »Du mußt sie an der Stelle, die ich dir zeigen werde, in den Boden einlassen, genau wie ich es mit den übrigen getan habe.«
»Du mußt unendlich vorsichtig sein. Beim Umgang mit der Kraft muß man vollkommen sein. Fehler sind hier tödlich. Jeder dieser Steine ist ein Strahl - ein Strahl, der uns töten kann, wenn wir ihn lose hängen lassen. Du darfst einfach keinen Fehler machen. Du mußt deinen Blick auf die Stelle richten, wohin ich den Strahl werfen werde. Wenn du dich irgendwie ablenken läßt, dann wird der Strahl zu einem gewöhnlichen Stein, und du wirst ihn nicht mehr von den anderen Steinen unterscheiden können, die dort herumliegen.«
    Ich schlug vor, es sei doch einfacher, wenn ich die „Strahlen" einzeln hinuntertrüge. Don Juan lachte und schüttelte verneinend den Kopf. »Dies sind Strahlen«, beharrte er, »und es ist wichtig, daß ich sie werfe und du sie auffängst.«
    Diese Arbeit erforderte Stunden. Sie verlangte ein unerträgliches Maß an Konzentration. Don Juan ermahnte mich jedesmal, aufzupassen und meinen Blick zu konzentrieren. Und er tat dies mit Recht. Einen bestimmten Stein nicht aus den Augen zu verlieren, der den Hang hinunterpolterte und dabei andere Steine mitriß, das war wirklich eine nervenraubende Sache.
    Als ich den Kreis vollkommen geschlossen hatte und nach oben stieg, glaubte ich, ich würde tot umfallen. Don Juan hatte kleine Zweige abgebrochen und den Kreis damit ausgelegt. Er reichte mir ein paar Blätter und sagte, ich solle sie unter meine Hose, in der Nabelgegend auf die Haut legen. Er sagte, sie würden mich wärmen, ich brauchte daher zum Schlafen keine Decke.

Weitere Kostenlose Bücher