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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Waden schmerzten. Es war eine qualvolle Haltung, und meine Beinmuskeln waren zu überanstrengt, um mich aufrecht zu halten. Ich hielt aus, solange ich konnte. Es fehlte nicht viel, und ich wäre gestürzt. Meine Beine zitterten unkontrollierbar - da blies Don Juan die Sache ab. Er half mir, mich hinzusetzen.
    Die Wolkenbank hatte sich nicht bewegt, und wir hatten die Sonne nicht über dem Horizont aufgehen sehen. Don Juan sagte nur: »Wie schade.«
    Ich wollte nicht direkt fragen, welche Folgen mein Versagen haben würde, aber da ich Don Juan kannte, war ich sicher, daß er dem Diktum seiner Omina folgen mußte. Und heute morgen war das Omen ausgeblieben. Der Schmerz in meinen Waden ließ nach, und ein wohliges Gefühl überströmte mich. Ich fing an, auf der Stelle zu traben, um meine Muskeln zu lockern. Don Juan sagte sehr freundlich, ich solle einen angrenzenden Hügel hinauflaufen, dort Blätter von einem bestimmten Busch pflücken und meine Beine damit einreihen, um meinen Muskelschmerz zu lindern. Von dort, wo ich stand, konnte ich einen großen, saftig grünen Busch sehen. Die Blätter schienen ganz feucht zu sein. Ich hatte sie schon zuvor gebraucht. Ich hatte nie den Eindruck gehabt, daß sie mir halfen, aber Don Juan hatte immer behauptet, die Wirkung wahrhaft freundlicher Pflanzen sei so subtil, daß man sie kaum bemerke, doch sie würden stets die erwarteten Resultate bringen. Ich lief bergab und den benachbarten Hügel hinauf. Als ich oben anlangte, merkte ich, daß die Anstrengung beinah zu groß gewesen war. Ich rang heftig nach Atem, und mir war übel. Ich ging in die Hocke und beugte mich vornüber, bis ich entspannter war. Dann stand ich auf und streckte die Hand aus, um die Blätter zu pflücken, wie Don Juan mir aufgetragen hatte. Aber ich konnte den Busch nicht finden. Ich sah mich um. Ich war überzeugt, daß ich mich an der richtigen Stelle befand, aber hier oben auf dem Hügel war nichts, was auch nur entfernt dieser Pflanze ähnelte. Und doch mußte dies die Stelle sein, an der ich sie gesehen hatte. Jeder andere Platz lag von dort, wo Don Juan stand, außerhalb des Gesichtskreises.
    Ich gab die Suche auf und kehrte zum anderen Hügel zurück. Don Juan lächelte wohlwollend, als ich meinen Irrtum erklärte. »Warum nennst du es einen Irrtum?« fragte er. »Offenbar ist der Busch nicht dort«, sagte ich. »Aber du hast ihn gesehen, nicht wahr?«
»Ich glaube wohl.«
»Und was sahst du nun statt dessen?«
»Nichts.«
    An der Stelle, an der ich die Pflanzen zu sehen geglaubt hatte, gab es absolut keine Vegetation. Ich versuchte das, was ich gesehen hatte, als visuelle Täuschung, als eine Art Luftspiegelung zu erklären. Ich war wirklich erschöpft gewesen und wegen meiner Erschöpfung hatte ich vielleicht geglaubt, etwas zu sehen, das ich dort erwartete, das sich dort jedoch nicht befand. Don Juan kicherte leise und sah mich kurz an. »Ich sehe da keinen Irrtum«, sagte er. »Die Pflanze ist dort oben auf dem Hügel.«
    Jetzt war es an mir, zu lachen. Ich suchte die ganze Fläche sorgfältig ab. Es gab dort keine solche Pflanze, und was ich gesehen hatte, war, soviel ich erkennen konnte, eine Halluzination. Don Juan begann ganz ruhig den Hügel hinabzusteigen und gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen. Zusammen stiegen wir den anderen Hügel hinauf und standen schließlich genau an der Stelle, wo ich den Busch gesehen hatte. Ich lachte, denn ich war absolut sicher, recht zu haben. Don Juan lächelte ebenfalls. »Geh auf die andere Seite des Hügels«, sagte Don Juan. »Dort wirst du die Pflanze finden.«
    Ich wandte ein, daß die andere Seite des Hügels außerhalb meines Gesichtsfeldes gelegen habe, daß dort zwar eine Pflanze sein mochte, daß dies aber nichts zu bedeuten habe. Don Juan gab mir durch eine Kopfbewegung zu verstehen, ich solle ihm folgen. Er ging um den Gipfel herum, statt ihn in gerader Linie zu überqueren, und blieb mit einer pathetischen Gebärde neben einem grünen Busch stehen, ohne ihn anzuschauen.
    Er wandte sich um und sah mich an. Es war ein eigenartig durchdringender Blick. »Es muß hier Hunderte solcher Pflanzen geben«, sagte ich. Don Juan stieg geduldig die andere Seite des Hügels hinab, und ich folgte ihm. Wir suchten überall nach einem ähnlichen Busch. Aber wir sahen keinen. Wir legten etwa einen halben  Kilometer zurück, bevor wir auf die nächste Pflanze stießen.
    Wortlos führte Don Juan mich zum ersten Hügel zurück. Dort blieben wir einen Augenblick

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