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Reise ohne Ende

Reise ohne Ende

Titel: Reise ohne Ende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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ihren Kindertagen – sie war nach Schiffszeit kaum zwei Jahre älter als er – den Wunsch gehabt hatte, zum medizinischen Stab zu gehören. Sie hatte nach den komplizierten Operationen im ersten Monat an Bord die Verantwortung für die Pflege der Kinder und ihre Versorgung gehabt, und während dieses ersten Monats war sie den Kindern sogar näher als Gildoran gewesen.
    Es war mehr als das. Gildoran wußte, daß er der einzige in der gesamten Mannschaft gewesen war, der sie in der Nacht hatte weinen sehen, als sie wußten, daß sie zwei von den Babys nicht würden retten können. Bei allen anderen hatte Gilnosta nur das wiederholt, was Gilban, der oberste Arzt, gesagt hatte: Die Rettung von vier von den sechs Kindern war ein Triumph, den man noch vor fünfzig Jahren auf jedem Späherschiff als spektakulär bezeichnet hätte. Sie hatten das Recht, stolz darauf zu sein. Bei Gildoran aber hatte sie geweint, hoffnungslos geweint und ihrem Schmerz um die beiden Schwächsten Ausdruck verliehen, die nach der Operation gestorben waren.
    Gildoran hatte ihren Schmerz geteilt. In dieser Nacht hatte er tief in seinem Innersten begriffen, warum keinem Kind auf einem Späherschiff ein Name gegeben wurde, bevor nicht sicher war, daß es das erste Jahr überleben würde.
    Es war schon schwer genug, ein namenloses Kind zu verlieren
    – einen potentiellen Kameraden auf dem Schiff –, das vielleicht dazu herangewachsen wäre, um ein Kapitän, eine Geliebte oder ein Freund zu werden… jemand, der dazugehörte. Eine Person aber, mit einem traditionellen Spähernamen, mit Persönlichkeit und Individualität – nein, das war unerträglich. So kam es, daß die Kinder in der Kinderstation blieben, in der niemand als die Puhbären, das dafür eingeteilte Personal und die Ärzte, von denen man Neutralität erwarten konnte, etwas mit den Kindern zu tun hatte, bis es sicher war, daß sie überleben würden, um ihren Namen zu bekommen und ein Teil der Mannschaft zu werden. Die neun Jahre alte Lori und die Vierjährigen, die da gerade Musik hörten, wurden von allen auf der Samtfalter verwöhnt. Die vier namenlosen Kinder aber kannten nur die Ärzte, die Biologen – in dem letzten Jahr war das Gilrae gewesen – und Gildoran. Die Trauer um die beiden, die gestorben waren, war deshalb auf diese wenigen beschränkt.

    Niemand sonst wird sich je an sie erinnern. Wir haben noch nicht einmal einen Namen, an den wir uns erinnern können, dachte Gildoran. Niemand sonst wird je um die beiden trauern.

    Die anderen vier aber würden, wie Gilrae gesagt hatte, für immer das Bild Gildorans in sich tragen und ihn als perfektes internalisiertes Modell eines Erwachsenen ihrer Art ansehen.
    Nicht nur ich, dachte Gildoran und sah zu, wie Gilnosta die Kleine mit den Mandelaugen umarmte, die sein spezieller Liebling war, sondern auch Gilnosta selbst und Gilrae. Das war vielleicht die Belohnung dafür, daß es jene waren, die als einzige den Schmerz ertragen mußten. Sie formten die anderen Kinder nach ihrem Bild.
    Gilnosta wollte gerade wieder gehen, als Gildoran bemerkte, daß sie die Gurte nicht wieder angezogen hatte und daß die Kleine mit den schwarzen Haaren sich aus ihrer Hängematte herausschlängelte. Wie ärgerlich; sie würde sofort wieder in die Ecke kriechen, in der die Musik spielte, und davon mußte sie wieder getrennt werden. Außerdem würde sie sich wahrscheinlich nicht mit besonderer Musik für sich allein besänftigen lassen. Er hatte kaum Zeit, an etwas anderes zu denken und war gerade drauf und dran, sich auf den Weg zu machen, um das Kind zurückzuholen, als Gilnosta ihm vorwarf: „Du hast mich noch nicht einmal nach deiner neuen Aufgabe gefragt, Gildoran! Oder danach, wer das Los gezogen hat und der nächste Jahreskapitän wird!“
    „Richtig! Und wer wird Kapitän?“
    „Gilrae“, sagte Gilnosta. „Ich glaube, sie wird ihre Sache gut machen. Alle mögen sie. Gilharrad hat uns mitgeteilt, daß er nie wieder Kapitän werden will. Innerhalb der nächsten sieben Jahre wird er den Wanderstatus annehmen. Ach ja“, sagte sie noch. „Du arbeitest mit Gilraban bei den Transmittern. Er möchte dich so bald wie möglich sehen, aber erst einmal fängst du wohl besser sie wieder ein“, meinte Gilnosta und zeigte mit ihrem Finger. Gildoran stöhnte. Das kleine Mädchen mit den Mandelaugen hatte die Musik-Ecke erreicht.
    Gildoran rannte hinter ihr her und holte sie ein. „Du solltest eigentlich im Bett liegen, du kleiner Affe“, schimpfte

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