Reise ohne Wiederkehr
einer Anklage wegen „kommunistischer Tendenzen“ zu entgehen.
Ein weiterer Punkt, an dem es zu Konfrontationen zwischen Remigranten und „Dagebliebenen“ kam, war der deutsche Antisemitismus. Er verschwand nicht mit dem 8. Mai 1945, sondern lebte über Jahre und Jahrzehnte in der Bundesrepublik fort. Zwar war er bei Weitem nicht mehr so offen und aggressiv wie zuvor, aber durchaus hör- und spürbar. Alfred Döblin schrieb entsprechend 1948 an seinen Freund und Kollegen Hermann Kesten, der im amerikanischen Exil Beiträge für deutsche Zeitungen und Zeitschriften verfasste:
|122| Achten Sie doch bloß […], wenn Sie für Deutsche schreiben; Sie als Jude! Brauchen Sie das Wort „Jude“ selten und am besten nicht. Es ist […] im Lande hier ein Schimpfwort, und ist es geblieben. Wenden Sie es also nur an, wenn Sie dem Antisemitismus wohl tun wollen. Das ist kein Spaß, aber traurig wahr. Der Antisemitismus sitzt tief und ist böser als zu unseren Zeiten. 13
Außerdem mussten die Remigranten einen Weg finden, im Alltag und in der Deutung des eigenen Lebenswegs mit den Erfahrungen der Verfolgung, der Bedrohung und des Exils umzugehen. Einige wollten selbst nicht viel über ihre Zeit im Exil sprechen, die von Angst und Unsicherheit geprägt war; wichtiger erschien ihnen der Neuanfang. Gleichzeitig hatten viele Westdeutsche kein großes Interesse bzw. vielmehr ein ausgeprägtes Desinteresse an den Erfahrungen der Rückkehrer und verschlossen sich ihren Berichten, die sie häufig als Anklage empfanden. Für den berühmten Regisseur Erwin Piscator (geboren 1893 in Ulm (Hessen), gestorben 1966 in Starnberg), der 1951 nach Deutschland zurückkehrte, stellte sich die Remigration desillusionierend dar. Sie bedeutete für ihn keine Heimkehr, sondern „andauernde Emigration in Deutschland, die kalte Schulter in Deutschland“. 14 Im Ausland war es ihm nicht gelungen, an seine beruflichen Erfolge der Weimarer Zeit anzuknüpfen, sodass er sich an der Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft in Deutschland festgehalten hatte. Doch in der Bundesrepublik traf seine Arbeit auf Kritik und wurde lange ignoriert; erst 1962 wurde er Intendant an der Freien Volksbühne in West-Berlin. Dieses Angebot kam jedoch zu spät, um ihn mit seinem Schicksal zu versöhnen.
Remigranten als intellektuelle Importeure –
Das Fach Politikwissenschaft
Ein Feld, das erheblich von der Rückkehr der Emigranten profitierte, war die westdeutsche Politikwissenschaft. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs dominierte an deutschen Universitäten das Fach Staatswissenschaft, |123| das vor allem die juristischen, institutionellen und philosophischen Aspekte der Politik untersuchte. In den Zwanzigerjahren gab es Bemühungen, eine neue Form der Politikwissenschaft zu etablieren, die sich stärker mit sozialen Problemen befasste und stark von der Soziologie beeinflusst war. Die bereits erwähnte Deutsche Hochschule für Politik in Berlin war bis Anfang der Dreißigerjahre ein Zentrum der prodemokratischen, sozialwissenschaftlichen Politikwissenschaft, die wichtige Anregungen aus den USA bezog – wobei sich viele Vertreter der amerikanischen
political science
wiederum an der deutschen Staatswissenschaft orientierten. Während die neuen politikwissenschaftlichen Ansätze in Deutschland mit dem Nationalsozialismus ein vorläufiges Ende fanden und die Hochschule dem NS-Staat unterstellt wurde, entwickelte sich die Disziplin in den Vereinigten Staaten methodisch und konzeptionell in raschem Tempo weiter. Dabei kam den deutschen Emigranten eine bedeutende Rolle zu, weil sie die deutschen mit den amerikanischen Ansätzen auf konstruktive Weise verbanden.
Nach dem Krieg war es eines der Ziele der amerikanischen Besatzungspolitik, die deutsche Gesellschaft mithilfe der Politikwissenschaft zu demokratisieren und zu modernisieren. Dem lag die Überzeugung zugrunde, dass der deutsche Staat als autoritäres Gebilde dem Individuum nicht genug Freiraum gelassen habe, was wiederum den Nationalsozialismus befördert habe. In bewusstem Gegensatz zur deutschen Staatswissenschaft verstand sich die Politikwissenschaft amerikanischer Prägung als Demokratiewissenschaft, die mittels empirischer Methoden um die Erforschung der politischen „Wirklichkeit“ – das Funktionieren politischer Gruppen und Institutionen, die Strukturen politischer Prozesse, die Entwicklung unterschiedlicher politischer Systeme – bemüht war. Die Remigranten verkörperten diese Ausrichtung,
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