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Reise ohne Wiederkehr

Reise ohne Wiederkehr

Titel: Reise ohne Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna R. Unger
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war, ihre berufliche Qualifikation zu nutzen oder zu erweitern, schien eine Rückkehr nach Deutschland (insbesondere in die geschlechterpolitisch konservative Bundesrepublik) nur bedingt sinnvoll.
    Insgesamt zeigte sich die DDR offener für Rückkehrer – nicht zuletzt, weil sich die SED von ihnen eine moralische Legitimation ihrer Herrschaft erhoffte. Unabhängig davon, ob die Remigranten dieses Ziel teilten oder nicht, hatten sie in der DDR bessere Chancen, berufliche Positionen zu erhalten, die ihrer Qualifikation angemessen waren. |115| Etliche Exilanten hatten Vorbehalte gegenüber dem westdeutschen Staat, in dem es ehemaligen Nationalsozialisten vergleichsweise leicht gelang, ihre Karrieren unbehelligt fortzuführen. Dagegen bejahten sie die sozialistische, antifaschistische Politik der DDR zumindest im Grundsatz und zeigten sich gegenüber dieser Variante des Neuanfangs viel aufgeschlossener. Um ein Beispiel zu nennen: Von den 28 emigrierten Historikern, die nach Deutschland zurückkamen, gingen 22 in die DDR, nur sechs hingegen in die Bundesrepublik.
    Etwa die Hälfte der 6000 Sozialdemokraten, die ins Ausland geflohen waren, kehrte nach Kriegsende nach Deutschland zurück, und zwar überwiegend in die westlichen Zonen. Innerhalb der westdeutschen SPD verfügten die Remigranten über großen Einfluss: In den Vierziger- und Fünfzigerjahren hatten sie mehr als die Hälfte der Sitze im Parteivorstand inne. 7 In der DDR war der Einfluss der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten Kommunisten bestimmend: Walter Ulbricht (geboren 1893 in Leipzig, gestorben 1973 in Ost-Berlin) übernahm den Posten des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED und wurde Staatsratsvorsitzender. Karl Maron (geboren 1903 in Berlin, gestorben 1975 in Ost-Berlin) war erst als Chefredakteur der Zeitung
Neues Deutschland
und später als Innenminister tätig. Otto Winzer (geboren 1902 in Berlin, gestorben 1975 in Ost-Berlin) wurde Außenminister, und Wilhelm Pieck (geboren 1876 in Guben, gestorben 1960 in Ost-Berlin) war Mitbegründer der SED und erster Präsident der DDR.
     
    Familiäre Bedenken
     
    Stand für überzeugte Parteifunktionäre außer Frage, dass sie nach Deutschland zurückkehren und sich am Neuaufbau beteiligen würden, fiel es der Mehrheit der Exilanten viel schwerer, sich zur Remigration zu entschließen. Dies traf besonders auf Familien mit Kindern zu. Vielen Kindern von exilierten Eltern fehlte der Bezug zu Deutschland, und sie schienen bessere Möglichkeiten in jenem Land zu haben, in dem sie aufgewachsen waren. Hajo Holborn schrieb 1946:
    |116| Unsere Kinder sind amerikanische Kinder. Sie haben all ihre prägenden Jahre in diesem Land verbracht, und wenn wir nach Deutschland zurückgingen, würden sie zu Exilanten. Da wir wissen, was das bedeutet, möchten wir ihnen diese Erfahrung ersparen. 8
    Jene Kinder, die doch mit ihren Eltern zurückgingen, fühlten sich häufig fremd. Marion Flechtheim, die Tochter von Ossip K. Flechtheim, störte, dass die deutsche Schule „sehr obrigkeitstreu“ und weit weniger offen und demokratisch war als das amerikanische System, das sie kannte. 9 Dass sie als erste Sprache Englisch und erst bei der Rückkehr ihrer Eltern nach Berlin Deutsch gelernt hatte, erschwerte ihre Integration.
    Neue Freundschaften, feste Arbeitsstellen, eigene Unternehmen und kulturelle Verbindungen trugen dazu bei, dass das Exil seine Qualität als Provisorium verlor und über die Jahre zu einer neuen Heimat wurde, die zwar in vielem fremd blieb, aber letztlich vertrauter war als die alte. Die beruflichen Bedingungen der Geflüchteten verbesserten sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, den viele Länder in der Nachkriegszeit erlebten, erheblich. In den USA kam hinzu, dass der Antisemitismus, der in den späten Dreißiger- und frühen Vierzigerjahren etliche Einstellungen verhindert hatte, zunehmend diskreditiert wurde, was die Chancen jüdischer Bewerber an Firmen und Hochschulen verbesserte.
     
    Unfreiwillige Remigration –
    Der Antikommunismus in den USA
     
    Auf der anderen Seite konnten Veränderungen der politischen Situation im Gastland dazu führen, dass Exilanten, die gar nicht an Rückkehr dachten, ihr Exilland wieder verließen. Das war vor allem in den frühen Fünfzigerjahren der Fall, als in den USA eine antikommunistische Bewegung einsetzte und Tausende von Menschen ihre Stellen verloren, weil sie verdächtigt wurden, dem Kommunismus nahezustehen und „unamerikanische“ Ideen zu

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