Reise um den Mond
sollte unser Ballon nicht an dem beabsichtigten Ziel anlangen?
– Er wird dasselbe erreichen«, sagte Barbicane.
»Und wär’ es auch nur, um das amerikanische Volk zu ehren, fügte Michel bei, das einzige Volk, welches im Stande war, eine solche Unternehmung gut auszuführen, das einzige, das einen Präsidenten Barbicane hervorbringen konnte! Ach! ich denke, da wir nicht mehr darüber in Unruhe zu sein brauchen, was aus uns werden wird, werden wir uns königlich langweilen!«
Barbicane und Nicholl gaben mit einem Wink ihre Nichteinstimmung zu erkennen.
– Aber ich habe schon dafür gesorgt, meine Freunde, fuhr Michel fort. Sie brauchen sich nur auszusprechen. Schach, Damenbret, Karten, Domino stehen zu Diensten! Nur ein Billard fehlt!
– Wie? Solch Spielzeug hast Du mitgenommen?
»Allerdings, erwiderte Michel, und zwar nicht allein zu unserm Zeitvertreib, sondern auch in der löblichen Absicht, die Wirthshäuser der Seleniten damit auszustatten.«
– »Mein Freund, sagte Barbicane, wenn der Mond Bewohner hat, so sind diese schon einige tausend Jahre vor den Erdbewohnern zum Dasein gekommen, denn es ist nicht daran zu zweifeln, daß dies Gestirn älter als das unserige ist. Wenn also Seleniten seit Hunderttausenden von Jahren existiren, wenn ihr Gehirn gleich dem des Menschen organisirt ist, so haben sie alle Erfindungen, die wir bis jetzt gemacht haben, bereits selbst gemacht, und noch jene dazu, die wir in den folgenden Jahrhunderten machen werden. Sie haben nichts von uns zu lernen, wir dagegen von ihnen.
– Wie? erwiderte Michel, Du meinst, sie hätten Künstler gehabt, wie Phidias, Michel Angelo oder Raphael?
– Ja.
– Dichter, wie Homer, Virgil, Milton, Göthe, Schiller, Lamartine, Hugo.
– Ganz gewiß.
– Philosophen wie Plato, Aristoteles, Descartes, Kant?
– Ohne Zweifel.
– Gelehrte wie Archimedes, Euklides, Pascal, Newton?
– Darauf wollt’ ich schwören.
– Komiker wie Arnal, und Photographen wie … Nadar?
– Ich bin’s überzeugt.
– Dann aber, Freund Barbicane, wenn die Seleniten uns darin gleich sind und sogar übertreffen, warum haben sie nicht versucht, sich mit der Erde in Verkehr zu setzen? Warum haben sie nicht ein Projectil vom Mond zur Erde entsendet?
– Wer sagt Dir denn, daß sie’s nicht gethan haben? erwiderte Barbicane ernst.
– In der That, fügte Nicholl bei, war dies für sie leichter, als für uns, aus zwei Gründen: erstens weil auf der Oberfläche des Mondes die Anziehungskraft sechsmal geringer ist, als auf der Erdoberfläche, weshalb ein Projectil leichter aufsteigen kann; zweitens, weil man es nur achttausend Lieues anstatt achtzigtausend zu schleudern braucht, was eine zehnmal geringere treibende Kraft erforderlich macht.
– Dann, fuhr Michel fort, frage ich nochmals: Warum haben sie’s noch nicht gethan?
– Und ich wiederhole, versetzte Barbicane: Wer sagt Dir, daß sie’s noch nicht gethan haben?
– Wann?
– Es sind Jahrtausende verflossen, ehe der Mensch auf der Erde auftrat.
– Und die Kugel? Wo ist eine solche? Die möcht’ ich sehen!
– Mein Freund, erwiderte Barbicane, fünf Sechstel unserer Erdkugel sind mit Meer bedeckt. Daher giebt’s fünf triftige Gründe, anzunehmen, daß, wenn ein Projectil vom Mond abgeschleudert wurde, dasselbe jetzt im Grunde des Meeres, des Atlantischen oder des Stillen, versenkt steckt, sofern es nicht zur Zeit, als die Erdrinde noch nicht völlig sich gebildet hatte, in eine Spalte hinein gedrungen ist.
– Mein werther Barbicane, erwiderte Michel, Du hast auf Alles eine Antwort, und ich verbeuge mich vor Deiner Weisheit. Doch schmeichelt mir eine Annahme vor allen anderen; nämlich daß die Seleniten, die doch älter als wir sind, nicht das Pulver erfunden haben!«
In diesem Augenblick mischte sich Diana mit lautem Bellen in die Unterhaltung. Sie verlangte ihr Frühstück.
»Ueber diesem Disputiren, sagte Michel Ardan, vergessen wir Diana und Trabant.«
Und sogleich wurde dem Thiere ein ansehnliches Gericht bereitet, das mit Heißhunger verschlungen wurde.
»Siehst Du, Barbicane, sagte Michel, wir hätten aus diesem Projectil eine Arche Noë machen, und von allen Hausthieren ein Paar mitnehmen sollen!«
– Allerdings, erwiderte Barbicane, aber es mangelte dafür an Raum.
– Richtig! sagte Michel, und rückte etwas näher bei.
– Unstreitig, erwiderte Nicholl, würden Ochse, Kuh, Pferd, alle Wiederkäuer uns auf dem Mond sehr nützlich sein. Leider konnte dieser Waggon nicht
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