Reise Um Die Erde in 80 Tagen
versetzte kalt Herr Fogg, schwören Sie nicht, und erinnern Sie sich, was ich Ihnen sage: Vor Zeiten hat man in Indien die Katzen als heilige Thiere angesehen. Das war eine bessere Zeit.
– Für die Katzen, Mylord?
– Und vielleicht auch für die Reisenden!«
[54] Nach dieser Bemerkung fuhr er ruhig fort zu speisen. Einige Minuten nach Herrn Fogg war der Agent Fix ebenfalls ausgestiegen und zu dem Polizeidirector von Bombay geeilt. Er gab seine Eigenschaft als Detectiv zu erkennen, den ihm ertheilten Auftrag, seine Lage gegenüber dem vermuthlichen Verüber des Diebstahls. Hatte man von London einen Verhaftsbefehl erhalten? ... Es war nichts angekommen. Und es konnte auch ein Verhaftsbefehl, der später als Fogg abging, noch nicht eingetroffen sein.
Nun war Fix in großer Verlegenheit. Er wünschte vom Director dennoch einen Verhaftsbefehl wider Herrn Fogg zu erhalten. Derselbe schlug's ab. Die Sache gehörte vor die Verwaltung der Hauptstadt, und diese konnte allein gesetzlich einen Verhaftsbefehl ausstellen. Diese Strenge der Principien, diese Strenge in Beobachtung gesetzlicher Form ist durch die englischen Sitten völlig begreiflich, welche in Hinsicht der persönlichen Freiheit durchaus keine Willkür gestatten.
Fix bestand nicht weiter darauf, und begriff, daß er sich darein ergeben müsse, seinen Befehl abzuwarten. Aber er beschloß, seinen unausforschlichen Schurken während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes zu Bombay nicht aus dem Auge zu lassen. Er zweifelte nicht, daß Phileas Fogg dort verweilen werde – und wir wissen, daß auch Passepartout der Meinung war – so daß mittlerweile der Verhaftsbefehl anlangen könnte.
Aber seit den letzten Aufträgen, welche Passepartout beim Verlassen des Mongolia von seinem Herrn erhalten hatte, war diesem wohl begreiflich geworden, daß es zu Bombay ebenso wie zu Suez und Paris gehen, daß die Reise hier nicht ein Ende haben, und wenigstens bis Calcutta fortgesetzt werde, und vielleicht noch weiter. Und er fing an, sich die Frage zu stellen, ob diese Wette des Herrn Fogg nicht ganz ernsthaft gemeint sei, und ob nicht sein Verhängniß ihn, während er in Ruhe leben wollte, dazu fortriß, in achtzig Tagen eine Reise um die Erde herum zu machen!
Unterdessen, nachdem er einige Hemden und Strümpfe gekauft, ging er in den Straßen von Bombay spazieren. Es strömte da viel Volk zusammen, mitten unter Europäern aller Nationalitäten, Perser mit spitzen Mützen, Bunhyas mit runden Turbanen, Indier mit viereckiger Kopfbedeckung, Armenier in langer Kleidung, Parsi mit schwarzer Mitra. Es wurde da gerade ein Fest von den Parsi oder Gebern gefeiert, directen Abkömmlingen der Anhänger Zoroasters, welche die gewerbfleißigsten, civilisirtesten, intelligentesten [55] Hindus von strengster Lebensweise ausmachen, wozu gegenwärtig die reichen eingeborenen Kaufleute Bombays gehören. Das Fest, welches sie an diesem Tage feierten, war eine Art religiösen Carnevals mit Processionen und öffentlichen Lustbarkeiten, wobei Bajaderen in rosenfarbener, mit Gold und Silber durchwirkter Gazebekleidung figurirten, welche, von Violen und lärmenden Tam-Tams begleitet, wunderhübsche Tänze, übrigens mit allem Anstand, aufführten.
Daß Passepartout diesen merkwürdigen Festgebräuchen zuschaute, daß er dabei Augen und Ohren über die Maßen aufriß, daß er dabei aussah und eine Miene hatte, als wie der unerfahrenste Bauerntölpel, den man sich denken kann, brauche ich nicht besonders hervorzuheben.
Zum Unglück für ihn und seinen Herrn, dessen Reisezwecke er dadurch in Gefahr brachte, ließ er sich durch seine Neugierde weiter fortreißen, als zuträglich war.
Passepartout war, nachdem er diesem persischen Carneval zugesehen, auf dem Wege nach dem Bahnhofe begriffen, als er im Vorübergehen vor der bewundernswerthen Pagode Malebar-Hill auf den unglückseligen Gedanken kam, ihr Inneres zu besehen.
Er wußte nicht, erstens, daß den Christen der Eintritt in manche Pagoden der Hindu förmlich untersagt ist; zweitens, daß selbst die Gläubigen nicht eintreten dürfen, ohne ihre Fußbekleidung vor der Thüre zu lassen. Ich muß hier bemerken, daß die englische Regierung aus Gründen richtiger Politik die Religionsübungen des Landes nicht nur selbst in den geringsten Details respectirt, sondern auch ihnen Respect verschafft, daher jede Verletzung ihrer Gebräuche mit strengen Strafen ahndet.
Passepartout trat, ohne etwas Schlimmes zu ahnen, wie ein bloßer Tourist hinein,
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