Reise Um Die Erde in 80 Tagen
bewunderte im Innern von Malebar-Hill das blendende Flitterwerk der brahmanischen Verzierungen, als er plötzlich auf den Boden des Heiligthums niedergeworfen wurde. Drei Priester fielen mit wüthenden Blicken über ihn her, rissen ihm Schuhe und Strümpfe ab, und singen an, mit wildem Geschrei ihn durchzuprügeln.
Der kräftige und gewandte Franzose sprang rasch wieder auf, warf mit Faustschlag und Fußtritt zwei seiner Gegner, die in ihre langen Gewänder verwickelt waren, nieder, stürzte, so rasch ihn seine Beine trugen, aus der [56] Pagode hinaus und entrann bald dem dritten Hindu, welcher, das Volk aufhetzend, ihm nachgeeilt war.
So kam Passepartout fünf Minuten vor acht Uhr, einige Minuten vor der Abfahrt des Zuges barfuß und barhaupt, und ohne den Pack mit seinen Einkäufen, welchen er im Getümmel verloren hatte, auf dem Bahnhofe an.
Passepartout in der Pagode. (S. 55.)
Fix befand sich daselbst beim Einsteigen. Er hatte gemerkt, daß der Herr Fogg, dem er auf den Bahnhof nachgefolgt war, Bombay verlassen würde, und war sogleich entschlossen, ihn bis Calcutta, und nöthigenfalls noch weiter, [57] zu begleiten. Passepartout gewahrte Fix nicht, der sich im Dunkeln hielt; aber dieser horte die Erzählung seiner Abenteuer, welche er seinem Herrn in aller Kürze machte.
Auf der Eisenbahn durch Vorderindien.. (S. 60.)
»Ich hoffe, das wird Ihnen nicht mehr passiren«, erwiderte einfach Phileas Fogg, indem er in einem Waggon Platz nahm.
Der arme Junge, barfuß und ganz verblüfft, folgte ihm nach, ohne ein Wort hören zu lassen.
[58] Fix wollte eben in einen besonderen Wagen einsteigen, als ein Gedanke ihn zurückhielt, und plötzlich sein Vorhaben mitzufahren änderte.
»Nein, ich bleibe, sprach er bei sich. Ein auf indischem Gebiet verübtes Vergehen ... Jetzt hab' ich meinen Mann.«
In dem Augenblicke vernahm man das Pfeifen der Locomotive, und der Zug verschwand in der Nacht.
Elftes Capitel.
Phileas Fogg kauft um fabelhaften Preis ein Reitthier.
Der Zug ging zur regelmäßigen Zeit ab. Es befanden sich auf demselben eine Anzahl Passagiere, einige Officiere, Civilbeamte und Kaufleute, die durch Handel mit Opium und Indigo in den Norden der Halbinsel zu reisen veranlaßt waren.
Passepartout befand sich mit seinem Herrn in derselben Waggonabtheilung. In der Ecke gegenüber saß ein dritter Passagier.
Es war der Brigadegeneral Sir Francis Cromarty, einer der Spielgenossen des Herrn Fogg während der Fahrt von Suez nach Bombay. Er war auf dem Wege zu seinen Truppen, die in der Nähe von Benares cantonnirten.
Sir Francis Cromarty, ein großer, blonder Fünfziger, der sich während der neulichen Empörung der Sepoys sehr ausgezeichnet hatte, konnte in Wahrheit für einen Eingeborenen gelten. Seit seinen Jugendjahren in Indien wohnhaft, war er nur selten in seinem Heimatlande gewesen.
Es war ein Mann von Kenntnissen, der gerne über die Gewohnheiten, Geschichte, Organisation des Hindulandes Auskunft gegeben hätte, wenn Phileas Fogg sie nur hätte begehren mögen. Aber dieser Gentleman hatte kein Verlangen darnach. Er machte nicht eine Reise, sondern eine Umfangslinie. Es war ein schwerer Körper, welcher nach den Gesetzen der rationellen Mechanik einen Kreis um den Erdball beschrieb. In diesem Augenblicke stellte er eine [59] wiederholte Berechnung der seit seiner Abreise aus London verbrauchten Stunden an; und wäre es nicht seiner Natur zuwider gewesen, eine unnütze Bewegung zu machen, so würde er sich die Hände gerieben haben.
Sir Francis Cromarty hatte wohl die Originalität seines Reisegefährten begriffen, obwohl er ihn nur die Karten in der Hand und zwischen zwei Robbers hatte studiren können. Er hatte daher Grund sich zu fragen, ob unter dieser kalten Hülle ein menschliches Herz schlage, ob Phileas Fogg's Seele für Naturschönheiten, für sittliche Eindrücke empfänglich sei. Diese Aufgabe stellte er sich. Von allen Originalen, welchen der Brigadegeneral begegnet war, ließ sich keins mit diesem Product der exacten Wissenschaften vergleichen.
Phileas Fogg hatte dem Sir Francis Cromarty sein Vorhaben einer Reise um die Erde, und die Bedingungen, unter welchen er sie vornahm, nicht verhehlt. Der Brigadegeneral sah in dieser Wette nur eine Excentricität ohne nützlichen Zweck, welcher nothwendig der Sinn für Wohlthun abging, von dem jeder vernünftige Mensch sich muß leiten lassen. Bei einer solchen Art zu reisen würde der bizarre Gentleman offenbar weder sich selbst, noch
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