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Reise Um Die Erde in 80 Tagen

Reise Um Die Erde in 80 Tagen

Titel: Reise Um Die Erde in 80 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wartete man bis Mitternacht; aber die Lage änderte sich nicht. Die Bewachung außen blieb unverändert; offenbar konnte man nicht darauf rechnen, daß die Wächter in Schlaf versanken. Vermuthlich hatte man ihnen die Berauschung mit »Hang« unmöglich gemacht. Man mußte also anders verfahren, und durch eine in die Mauer der Pagode gebrochene Oeffnung einzudringen versuchen. Dann blieb noch die Frage, ob die Priester bei ihrem Opfer ebenso sorgsam wachten, wie die Soldaten am Eingang des Tempels.
    Nach einer letzten Beredung machte sich der Führer auf den Weg, gefolgt von Herrn Fogg, Sir Francis und Passepartout. Sie machten einen ziemlichen Umweg, um der Pagode von hinten beizukommen.
    Vom Scheiterhaufen entführt. (S. 83.)
     
    Etwa um halb Eins kamen sie, ohne Jemand zu begegnen, am Fuß der Mauer an. Auf dieser Seite waren keine Wachen aufgestellt, aber es waren da auch weder Thür noch Fenster.
    Es war dunkle Nacht. Der Mond, damals im letzten Viertel, stieg eben, von dichtem Gewölk umgeben, am Horizont auf. Die hohen Bäume vermehrten noch die Dunkelheit.
    Aber daß man sich am Fuße der Mauer befand, reichte nicht hin, man mußte auch eine Oeffnung hineinbrechen. Dafür waren Phileas Fogg und [80] seine Genossen mit gar keinem Werkzeuge versehen, als ihren Taschenmessern. Zum Glück waren die Mauern des Tempels nur aus Ziegelstein in Verbindung mit Holz gebaut, so daß es nicht schwer war ein Loch einzubohren. War einmal ein Ziegelstein herausgenommen, so ging's mit den anderen noch leichter.
    Man machte sich so still wie möglich an's Werk. Auf der einen Seite der Parse, auf der andern Passepartout, entkittelen die Ziegelsteine dergestalt, daß sie ein zwei Fuß breites Loch bekamen.
    [81] Die Arbeit schritt vor, als ein Geschrei im Innern des Tempels sich vernehmen ließ, das von außen sogleich erwidert wurde.
    Die beiden Arbeiter hielten inne. Hatte man sie entdeckt? Machte man Lärm? Die gewöhnlichste Klugheit rieth, sich zu entfernen, und sie thaten's mit Phileas Fogg und Sir Francis Cromarty. Sie duckten sich abermals unter's Gehölz, in Erwartung, daß der Lärm sich wieder legen würde, um dann von Neuem an's Werk zu gehen. Aber zu allem Unglück wurden an jener Stelle der Pagode Wachen aufgestellt, die jede Annäherung unmöglich machten.
    Unbeschreiblich war die Verlegenheit der vier Männer, als sie sich bei ihrem Werk gehemmt sahen. Wie konnten sie das Opfer retten, da sie nicht zu ihm gelangen konnten? Sir Francis Cromarty benagte sich die Finger. Passepartout war außer sich, und der Führer konnte ihn kaum beschwichtigen. Phlegmatisch wartete Herr Fogg ab, ohne seine Gefühle kund zu geben.
    »Es bleibt uns nichts, als abzuziehen? fragte leise der Brigadegeneral.
    – Warten Sie, sagte Fogg. Ich brauche erst morgen vor zwölf Uhr in Allahabad zu sein.
    – Aber worauf hoffen Sie? erwiderte Sir Francis Cromarty. In einigen Stunden wird's Tag sein, und ...
    – Die günstige Gelegenheit kann sich noch im letzten Augenblicke ergeben.«
    Der Brigadegeneral hätte gewünscht in Phileas Fogg's Augen lesen zu können.
    Worauf rechnete der kaltblütige Engländer? Wollte er im Moment des Todes sich auf die junge Frau losstürzen und sie ihren Henkern offen entreißen?
    Das wäre Wahnsinn gewesen; und war wohl anzunehmen, daß dieser Mann zu solchem Wahnsinnge diehen sei? Dennoch willigte Sir Francis Cromarty ein, bis zur Entwickelung dieser schrecklichen Scene zu warten. Doch ließ der Führer seine Gefährten nicht an dem Orte, wohin sie sich geflüchtet hatten, und führte sie an die vordere Seite der Lichtung. Hier konnten sie, von einem Gebüsche verdeckt, die eingeschlafenen Gruppen beobachten.
    Inzwischen trug sich Passepartout, der hoch auf den Zweigen eines Baumes saß, mit einem Gedanken, der erst wie ein Blitz seinen Geist durchzuckte und endlich in seinem Kopfe sich festsetzte.
    [82] Anfangs hatte er zu sich gesagt: »Wie toll!« und jetzt sagte er wiederholt: »Warum nicht, allem Anschein nach? Ein möglicher Weg, vielleicht der einzige bei so viehdummem Volke! ...«
    Jedenfalls gab Passepartout damals seinen Gedanken keine andere Form, aber er glitt flink wie eine Schlange unverweilt auf die unteren Zweige des Baumes, deren Enden sich bis zum Boden hinabbogen.
    Die Stunden verflossen, und bald verkündigte Dämmerungsschein den Anbruch des Tages. Doch war's noch völlig finster. Dies war der bestimmte Zeitpunkt. Gleich einer Auferstehung erhoben sich die Massen aus dem Schlafe, die

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