Reise Um Die Erde in 80 Tagen
wackere Hindu erzählte darauf einiges Nähere über das Opfer. Es war eine Indierin von ausgezeichneter Schönheit parsischer Abstammung, die Tochter reicher Kaufleute zu Bombay. Sie hatte in dieser Stadt eine ganz englische Erziehung erhalten, und ihrem Benehmen, ihrer Bildung nach hätte man sie für eine Europäerin angesehen. Sie hieß Aouda.
Als Waise wurde sie wider Willen mit diesem alten Rajah des Bundelkund verheiratet, und nach drei Monaten schon ward sie Witwe. Da sie wußte, welches Loos ihr bevorstand, suchte sie zu entrinnen, wurde sogleich wieder aufgegriffen, und die Verwandten des Rajah, in deren Interesse ihr Tod lag, bestimmten sie zu dieser Todesart, und sie schien derselben nicht mehr entgehen zu können.
Diese Erzählung konnte Herrn Fogg und seine Gefährten nur in ihrem edlen Entschluß bestärken. Man beschloß, der Führer solle den Elephanten nach der Pagode Pillaji leiten, und dieser so nahe wie möglich bringen.
Eine halbe Stunde nachher machte man unter einem Buschwerk, fünfhundert Schritte von der Pagode, Halt. Diese konnte man zwar nicht sehen, aber das Geheul der Fanatiker ließ sich deutlich vernehmen.
[78] Nun berieth man über die Mittel, um zu dem Opfer zu gelangen. Dem Führer war die Pagode zu Pillaji bekannt, worin, wie er behauptete, die junge Frau gefangen war. Sollte es möglich sein, während die ganze Schar im Schlafe der Trunkenheit versunken lag, durch eine der Thüren hinein zu gelangen, oder mußte man ein Loch in die Mauer brechen? Darüber konnte man doch erst zur Zeit der Ausführung und an Ort und Stelle urtheilen. Aber unzweifelhaft war, daß die Entwendung während dieser Nacht vorgenommen werden mußte, und nicht, wenn bei Tagesanbruch das Opfer zum Tode geführt wurde. Dann wäre es keiner menschlichen Macht mehr möglich, sie zu retten.
Herr Fogg wartete mit seinen Genossen die Nacht ab.
Sobald es dunkel ward, gegen sechs Uhr Abends, entschlossen sie sich, eine Recognoscirung um die Pagode herum anzustellen. Das letzte Geschrei der Fakirs verstummte damals. Nach ihrer Gewohnheit mußten diese Indier in tiefer Berauschung mit »Hang«, – flüssigem Opium mit einem Hanfaufguß gemischt – liegen, und es würde vielleicht möglich sein, sich zwischen ihnen durch bis zum Tempel zu schleichen.
Geräuschlos drangen die kühnen Leute durch den Wald. Nachdem sie zehn Minuten unter dem Gezweig gekrochen, langten sie am Ufer eines Flüßchens an, und gewahrten da beim Scheine von Fackeln einen Haufen aufgeschichteten Holzes. Es war der aus kostbarem Sandelholz errichtete Scheiterhaufen, der bereits mit parfümirtem Oel getränkt war. Oben darauf lag der einbalsamirte Leichnam des Rajah, welcher zugleich mit seiner Witwe verbrannt werden sollte. Hundert Schritte von diesem Scheiterhaufen stand die Pagode, deren Minarets über die Gipfel der Bäume ragten.
»Kommen Sie!« sagte der Führer leise.
Und mit verdoppelter Vorsicht schlich er seinen Gefährten voran stille durch das hohe Gras.
Nur das Säuseln des Windes unterbrach noch die Stille. Nicht lange, so hielt der Führer am Rande einer Lichtung, die von einigen Fackeln erleuchtet war. Haufenweise lagen da, wie auf einer Wahlstatt, die Schläfer in tiefem Rausch, Männer, Weiber, Kinder, alle durcheinander; einiges Röcheln vernahm man hier und da.
Im Hintergrunde, zwischen dem Gebüsche, erhob sich undeutlich der Tempel von Pillaji. Aber zu großer Enttäuschung des Führers waren die Garden [79] der Rajahs im Scheine rußiger Fackeln wachsam an den Eingängen, und wandelten mit gezogenem Säbel auf und ab. Es ließ sich voraussetzen, daß die Priester innen ebenso wachsam waren.
Der Parse wagte nicht weiter vorzugehen. Da er die Unmöglichkeit sah, gewaltsam in den Tempel zu gelangen, führte er seine Gefährten rückwärts.
Phileas Fogg und Sir Francis Cromarty begriffen wie er, daß man von dieser Seite her nichts wagen konnte.
Sie standen stille und sprachen leise mit einander.
»Warten wir, sagte der Brigadegeneral, es ist erst acht Uhr, und es ist möglich, daß auch diese Wächter in Schlaf verfallen.
– Das ist wohl möglich«, erwiderte der Parse.
Phileas Fogg und seine Gefährten lagerten sich daher am Fuß eines Baumes und warteten.
Wie wurde ihnen die Zeit lang! Von Zeit zu Zeit entfernte sich der Führer, um den Rand des Gehölzes zu beobachten. Die Leibwächter des Rajah wachten unablässig bei Fackelschein, und ein dämmerndes Licht drang durch die Fenster der Pagode.
So
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