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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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auch den Katalog, hemmungslose Witze –, aber immer, wenn in einem Flugzeug ein Platz ungebucht blieb, bekam ich ihn. Egal, welche Destination. Ich wählte immer Athen. So brach ich oft von einer Minute auf die andere auf, immer mit einer der beiden Maschinen der Globe Air, unserer Vertragsgesellschaft, entweder mit einer betagten Metropolitan, die den Flug nur mit einem Tankstopp in Rom schaffte, oder mit der steinalten Britannia, die Athen nonstop zu erreichen imstande war und später vor Nikosia abstürzte, mit dem Piloten am Steuer, der auch mich geflogen hatte, und mit 126 jungen Passagieren an Bord. Ein Gewitter, kein Sprit mehr. Es stellte sich heraus, dass der Pilot keine für die Britannia gültige Lizenz hatte. Er hatte sie schon zu meiner Zeit nicht gehabt, flog sie aber anstandslos. Wir plauderten manchmal zusammen, und einmal, nach einem bewegten Flug, winkte er mir nach der Landung und zeigte mir den Bug der Maschine, in den die Körner eines Hagelsturms Hunderte von Dellen geschlagen hatten.)
    ICH weiß nicht, warum ich Naxos wählte, als ich die Inseln der Kykladen besuchte. Wohl einfach, weil das nächste Schiff, das auslief, nach Naxos fuhr. Es war die ›Despina‹, eine schwimmende Legende schon damals, die gewiss seit dem Peloponnesischen Krieg die Route nach Mykonos, Paros, Naxos, Santorini und Rhodos befuhr. Hin und zurück, treu wie ein See-Esel. Sie war das rostigste aller griechischen Rostschiffe, und tatsächlich wurde sie später, als eine Fähre nach Kreta – die ›Hiraklion‹ – in einem Sturm untergegangen war, aus dem Verkehr gezogen, ein Sühneopfer der Behörden, die nach dem Desaster irgendeine radikal aussehende Maßnahme ergreifen mussten. Ohne den Untergang der Hiraklion – viele Tote – würde die Despina heute noch von Insel zu Insel schippern, oder sie wäre einmal, bei ruhiger See, auf einen Schlag zerbröselt und mit Mann und Maus geräuschlos im Wasser der Ägäis verschwunden. – Ich kaufte ein Ticket, das mich zum Aufenthalt auf dem Deck berechtigte (es gab auch regelrechte Kabinen), und richtete es mir zwischen vielen Griechen ein, die ebenfalls auf die billigste Art fuhren und sich alle vor dem Meer zu fürchten schienen, denn sie klumpten sich am wasserfernsten Ort in der Mitte des Oberdecks zusammen. Ich stand im Bug, hielt mich an der Reling fest und ließ mich von der Salzgischt besprühen, heroisch wie eine Bugsprietfigur. Wir fuhren stundenlang die Küste entlang, einem fernen weißen Band. Die Sonne ging unter, und nun gab es nur noch das Meer. Irgendwann einmal gesellte sich ein etwa zwölfjähriges Mädchen zu mir, das ein glasklares Französisch sprach und in Naxos zu Hause war. (Ja, sie war es, die mich zur Entscheidung brachte, nicht schon in Paros auszusteigen.) Sie sagte, sie habe dieses Glockenfranzösisch in der Klosterschule gelernt, bei Nonnen aus Frankreich, alle in Naxos – jedenfalls die, die diese Schule besucht hätten – sprächen ein Französisch wie sie; was nicht stimmte, denn nun trat ihr Bruder zu uns – er war einige Jahre älter als sie, fast schon so alt wie ich – und radebrechte eher als dass er zwitscherte. Beide waren die Kinder des Wirts des einzigen Hotels von Naxos, und der Junge sagte, bestimmt, als sei er der Boss, ich kriegte in seinem Haus ein Zimmer, und zwar das beste. Gute Nacht. – Das Zimmer war nicht das beste, oder vielleicht doch, denn es war das hinterste von drei Schlafzimmern, und ich konnte es nur betreten, wenn ich zuerst durch die beiden andern ging. Mich irritierte das wohl mehr als die Bewohner dieser Zimmer. Eine Italienerin, die tagsüber auf der Terrasse saß und ein Buch nach dem andern weglas, und ein Paar aus Paris. Sie waren längst gewohnt, dass da einer anklopfte oder auch nicht und durchs Zimmer huschte. Ich klopfte natürlich, aber ich wusste nie, ob ich grüßen sollte, wenn die Italienerin oder das Paar oder alle drei schon im Bett lagen. Das Paar wartete offenkundig, wenn es sich lieben wollte, bis ich in meinem Zimmer war; denn während ich einzuschlafen versuchte, hörte ich die Frau maunzen. – Ich stiefelte auf der Insel herum, besuchte jeden Abend einen kleinen Tempel, der hoch über dem Meer stand und von dem das Mädchen mir erzählt hatte, dass sich da kürzlich erst die Erde aufgetan und ein paar Schafe verschlungen habe. Ich wanderte auch zu einem von hohen Gräsern zugewachsenen, am Boden liegenden Steingiganten aus namenlosen Vorzeiten und badete einmal fernab aller

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