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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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damals in der welschen Schweiz für ein Abitur. (Heute spricht May besser hochdeutsch als ich. Sogar das Schweizerdeutsche kriegt sie, wenn sie in parodistischer Laune ist, tadellos hin.)
    Wir fuhren südwärts, ohne Pause. Unterwegs packte May drei Sandwiches aus, die sie in ihrer Küchenecke vorbereitet und mit Sardellen belegt hatte. Mit Sardellen! Wir machten so viele Witze über Sardellen in Sandwiches, dass May uns für die beiden blödesten Deppen zu halten begann, die ihr je begegnet waren. Zum Glück bemerkte ich das noch, bevor ihr Gefühl chronisch wurde, und sprach just im richtigen Moment doch noch französisch und nicht mehr von Sardellen. Bummi allerdings juchzte unbeirrt vor sich hin, »Sardellen!«, »In einem Sandwich!«, und hatte es dann schwerer als ich, von seinem Image als ignoranter Volldepp wieder wegzukommen. May und ich sprachen, während Bummi immer noch in sich hineinschmunzelte und das Auto auf Kurs hielt, von der Schönheit des Südens, den wir eben jetzt erreichten und den auch May liebte wie kaum etwas anderes. Wir kamen am späten Nachmittag in Saint-Tropez an (wir sagten sogleich, obwohl wir noch nie dort gewesen waren, »Saint-Trop«, wie alle Insider von damals) und fanden auch die Villa ohne Mühe. Nora, die das Gegenteil einer Geographin war und ist, hatte uns trotz ihres Handicaps (sie hatte und hat keinerlei Vorstellung von der bewohnten Welt außerhalb ihres Sichtfelds) eine absolut brauchbare Skizze des Hauses zugeschickt. In einem Pinienwald, weiß, Bougainvilleen im Garten, mit einem blaufunkelnden Swimmingpool. Wir klingelten bei nur vier andern Villenbesitzern, die Pinien, Bougainvilleen, weiße Hausmauern und einen Pool hatten, und schon waren wir am richtigen Ort. Nora umarmte Bummi, May und mich, in dieser Reihenfolge. Wir gingen ins Haus, wo wir die Hausherrin begrüßten, die Mutter der eigentlichen Hausherrin, eine etwa sechzigjährige ledrig-braune Jugendliche in Jeans, die uns einen Tee (wir lehnten höflich ab) und ein Bad im Pool anbot (wir nahmen begeistert an) und zu Nora sagte: »Les filles viendront dans dix minutes.« Wir gingen, ohne die alte Jugendliche, zum Pool, und Nora erklärte uns, dass les filles die Tochter des Hauses (deren Kinder sie hütete) und Brigitte Bardot seien. Wir waren beeindruckt; BB war damals das Maß aller weiblichen Dinge. Wir zogen uns die Badehosen an, mit der Scheu und Scham von 1963, jeder hinter einem andern Oleander. May brauchte etwas länger als ich (ich sah sie hinter ihren Blumen herumfuhrwerken; ihr blauer Rollkragenpulli flatterte wie ein Vogel über dem Blütenbusch) und kam dann mit einem Badekleid zu uns hin, das genau so braun wie ihre Haut war. Ihre Haare waren jetzt offen und hingen weit über ihre Schultern hinab. Ich kriegte auf der Stelle einen Ständer. Sie sah es, und ich sah, dass sie es sah. Ich schämte mich – ich erkannte nicht, dass sie es als ein Kompliment verstand –, und sie tat auch nicht dergleichen und sprang mit einem Hechtsprung ins Wasser. Nora und Bummi taten es ihr nach. Ich brauchte ein paar Minuten, um mich zu beruhigen, und benutzte dann das Treppchen. Bald lachten und kreischten wir, als sei das unser Pool. – Als wir auf Liegestühlen und Hollywoodschaukeln saßen und uns von der Abendsonne trocknen ließen, hörten wir das Schlagen von Autotüren. Frauenstimmen, Kindergelächter. Die Hausherrin, ihre Kinder, und vielleicht Brigitte Bardot. Bummi stand zwar auf und versuchte, über die Büsche zu lugen, aber Noras, Mays und meine Gleichgültigkeit – meine war gespielt; es juckte mich in allen Gliedern, es Bummi gleichzutun – zwangen ihn, auch so zu tun, als sei ihm die schönste Frau der damaligen Welt egal. Er hatte ja Nora! Bald auch fuhr das unsichtbar gebliebene Auto wieder weg, und dann kamen die Kinder, zwei Mädchen, zu Nora hingestürmt, um Abschied zu nehmen.
    Wir schliefen diese Nacht auf dem Campingplatz, May und Nora in Bummis Zelt, Bummi und ich in meinem. (Es war immer noch der Spatz 50. Jenes Zelt, das ich Georges Blin empfohlen hatte. Wenn er mich jetzt gesehen hätte!) Am nächsten Tag fuhren wir nach Marseille. Nun saßen Bummi und Nora vorn, und ich war mit May auf den Hintersitzen. Jetzt sprach ich doch französisch. In Marseille stellten wir die Zelte erneut auf, nicht allzu nah voneinander entfernt, und wie zufällig ließen wir, bevor wir essen gingen, unsere Schlafsachen im Auto, als hätten wir alle vier noch nicht entschieden, wer in welchem Zelt

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