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Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
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der Alliance française. Aber unter der Tür verabschiedete sie sich artig – ein Kuss wie ein Windhauch – und huschte ins Haus. – Dann eine, die im selben Haus wie Paul Meurisse wohnte, und eine andere, bei der es Milène Demongeot war. Ich kam mit beiden nicht weit, und ich kriegte weder Milène Demongeot noch Paul Meurisse jemals zu Gesicht.
    EVE lernte ich so kennen: Ich war auch in Paris – in Paris mehr denn je! – mit dem Schweizerischen Studenten-Reisedienst verbandelt und auch da so was wie der Mann für Notfälle aller Art. Meine Büroausrüstung war eine Schuhschachtel, in der ich Belege sammelte. Wieder kümmerte ich mich um gestrandete Studentinnen und Studenten und stritt mich mit dem Hotelier des Vertragshotels herum, dessen Etablissement (nominell zwei Sterne, de facto null) sich irgendwo in Montparnasse befand. Da stand ich dann an der Theke und versuchte, ihm klarzumachen, dass wir ihm auf die Schliche kamen, wenn er ein paar Doppelzimmer zu viel abzurechnen versuchte. Ich lungerte also wieder einmal, auf den Hotelier wartend, in der Lobby dieses vermaledeiten Hotels herum, zusammen mit einer Horde junger Frauen und Männer, die in allen Weltsprachen miteinander schnatterten und auf einen Bus warteten, der sie nach Chartres bringen sollte. Sightseeing. Der Bus fuhr vor, eine Frau, die einem Kobold glich, kam ins Hotel gefegt und scheuchte die Studententouristen mit so viel Energie auf die Straße hinaus, dass ich im Nu mutterseelenallein am Rezeptionstresen stand. »Et vous?«, sagte sie. »On n’a pas toute la journée.« Ich sagte ihr, wer ich war, ihr Chef nämlich oder wenigstens der, der zu beurteilen beauftragt war, ob sie ihre Arbeit gut oder schlecht mache. Bis jetzt habe das ganz gut ausgesehen. Ein Wort gab das andere – sie sah wirklich wie Pinocchio aus, hüpfte beim Sprechen von einem Fuß auf den andern und kicherte, während sie sprach –, und plötzlich beschloss ich, nach Chartres mitzufahren. Ich hatte die Kathedrale noch nie gesehen. Ich saß vorn, zwischen dem Chauffeur und ihr eingeklemmt. Der Beifahrersitz war nicht für zwei gebaut, so dass sie mir mehr oder weniger auf dem Schoß saß, während sie in ihr Mikrophon sprach. Links achtzehntes Jahrhundert, rechts zwölftes. Sie war sehr kundig. In Chartres saßen wir, während die Studentinnen und Studenten um die Kathedrale herumstreiften, in einem Café und tranken eilends mehrere Gläser Wein. Wir machten Witze und nahmen ein Fläschchen für die Rückfahrt mit. Als wir in Paris ankamen, waren wir alles andere als nüchtern, gingen stracks zu mir nach Hause – ich hatte inzwischen ein neues Zimmer, das keinen Cerberus hatte – und liebten uns. Eve war auch nackt ein Gnom. Ein Troll. Sie hatte tatsächlich ein dämonisches Temperament, nicht von dieser Welt, und war, schneller als ein irdisches Wesen, über mir, unter mir, auf mir und hier und dort. Feuer, Wasser, fest, flüssig: alles aufs Mal. Ich musste schauen, dass ich mit meinem Bauerntempo auf ihrer Höhe blieb. Dieses erste Mal schaffte ich es, und als Eve sich wieder anzog – irgendwann nach Mitternacht –, hatte ich mein Defizit von vielen Monaten aufgeholt, und sie vielleicht auch. Sogar beim Abschied sprang sie so wild an mir hoch – sie war einen Kopf kleiner als ich –, dass das Adieu zu misslingen drohte, weil sie mich erneut auszuziehen begann. Aber dann ging sie doch, glückstrahlend, und rief vom Hof her – ich am Fenster; das Zimmer lag im ersten Stock –, ich müsse ihre Mutter kennenlernen, denn sie und maman seien unzertrennliche Freundinnen und täten immer alles zusammen. Sie fegte davon, ein Irrwisch mit wirren blonden Haaren in einem Kleid, das jetzt, als sie unter der Laterne beim Hofausgang vorbeihuschte, himmelblau war und voller rosa Streifen hing, die hinter ihr herflatterten. (Ich lernte ihre Mutter dann tatsächlich kennen. Sie wohnte in der Rue du Cherche-Midi und glich ihrer Tochter in allem. Sie war irgendwie auch gleich alt wie diese. Allenfalls war sie noch etwas verrückter als Eve, ein bisschen schriller, etwas unverblümter mit ihren Marotten. Sie hielt Vögel, ganze Volieren voll, und durch die Wohnung flogen ein paar Wellensittiche, die Freigang hatten.) – Mir gefiel Eves Spinnertheit ganz gut. Wenn sie kam, war sie aus ihren Kleidern heraus, bevor die Tür zu war. Sie zog mich, kichernd und gurrend, aufs Bett. Mir tat das Lieben auch gut. Danach saß sie, ein kleines bisschen bekleidet, am Tisch, rauchte

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