Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Reise zum Rand des Universums (German Edition)

Titel: Reise zum Rand des Universums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urs Widmer
Vom Netzwerk:
(Gitanes; alle Frauen rauchten damals) und sagte, so verliebt wie jetzt sei sie noch nie gewesen und ihrem Psychoanalytiker erzähle sie in jeder Sitzung alles, was zwischen uns geschehen sei, haargenau und bis in die letzte Einzelheit. So einen Schwanz, habe sie gerade eben zu ihm gesagt, sagte sie, habe der Psychoanalytiker in seinem ganzen Leben noch nie gesehen, da sei sie sich ganz sicher. Sie bis jetzt ja auch nicht, und nicht einmal maman könne sich an etwas Derartiges erinnern.
    Ich weiß nicht, wie es kam: Bald ging sie mir heftig auf die Nerven. Ich ertrug sie nicht mehr. Sie aber badete immer heftiger in ihrem Glück. Brachte Kuchen mit rosa Marzipanrosen drauf mit und schmückte mein Zimmer mit Bildern, auf denen indische Elefantengötter gütig blickten. Ich spürte, wie sich meine Triebbegeisterung in so etwas wie Hass verwandelte. Manchmal hieß ich sie nun, die Küche zu putzen. Den Herd. Das tat sie ohne jeden Widerspruch, sie rieb mit Stahlwolle auf den Kochplatten herum und schaute mich dabei an, dankbar gar?, ob sie es auch recht mache. Einmal stand ich so wutentbrannt hinter ihr – vor mir ihr eifriger Hals –, dass ich, um irgendetwas mit meinen Händen anzufangen, mit beiden Zeigefingern gleichzeitig auf die Schnellheizplatte deutete und rief, und das da?, dies?, ob das sauber sei? »Crasseux, c’est crasseux!« Ich fuhr mit einem der Zeigefinger über die Schmutzstelle, die vermeintliche Schmutzstelle, und hielt ihn ihr unter die Nase. Der Herd sei doch sauber, murmelte sie. »Jetzt!«, brüllte ich. Sie rieb folgsam noch ein zwei Mal mit einem Lappen auf dem Metall herum.
    Einmal fuhren Eve und ich – ich hatte jetzt auch in Paris eine Vespa – zu Nora. Nora hatte einen Freund, der aus Vietnam war und Jim hieß. Die beiden wohnten irgendwo in der Banlieue sud, in Versailles vielleicht. Oder eher, Jim wohnte dort, und Nora war immer bei ihm und kaum noch in ihrem Zimmer. Jim hatte etwas aus seiner Heimat gekocht, und er und Nora saßen in innigem Glück am Tisch und strahlten sich und uns an. Noras lustiges Gesicht leuchtete. Eve und ich schliefen in einer Art Garage, die als Gästezimmer umfunktioniert worden war. Ich weiß nicht mehr, ob wir uns liebten oder nicht; eher nicht. Am nächsten Morgen stand ich in aller Herrgottsfrühe auf und stampfte durch leere Vorortstraßen und verlassene Parkanlagen. Der Kontrast zwischen Noras glasklarer Liebe zu Jim und meinem Hass auf Eve war nicht mehr auszuhalten. Ich schämte mich – abgrundtief –, dass ich mit einer so dummen Kuh zusammen war. Dass Nora das sicher auch dachte. Ich packte Eve auf die Vespa. Ein kurzer Abschied. Ich fuhr mit Vollgas über Rotlichter, überholte Autobusse, auch wenn ihnen und mir ein Tanklaster entgegenkam, und hielt die Vespa an der Place d’Italie so jäh an, dass Eve gegen meinen Rücken geworfen wurde. Ich sagte ihr, sie solle absteigen. Sie verstand nicht, warum, tat es aber. Sie hielt die Tasche mit ihren Schlafsachen vor der Brust und schaute mich mit großen Augen an. Ich gab Gas, ohne adieu zu sagen, und fuhr den Boulevard des Gobelins hinunter, erst schnell wie auf der Flucht, dann langsamer. Vor einem Zebrastreifen hielt ich sogar und ließ eine alte Dame die Straße überqueren.
    Eve klopfte noch ein paarmal an meiner Tür. Jeden Tag eigentlich. Ich stand dann erstarrt im Zimmer, mit einem erhobenen Fuß, den ich möglichst unhörbar auf den Fußboden zu stellen versuchte. Wenn ich jetzt das Zimmer verließ, schaute ich zuerst durch den Spion, ob sie auf der Treppe lauerte, und einige Male machte ich Umwege, weil sie im Café des Gobelins saß und den Eingang der Metrostation bewachte. Ich schlich dann entweder zur Station an der Rue Monge oder zur Place d’Italie.
    Nora ging nach Genf zurück und Jim nach Saigon. Auch ich packte meine Koffer. Als ich auf die Gare de l’Est zuging, schneite es. Ein Schneeregen. Ich atmete noch mal ein, aus, bewusst und sorgsam und so tief wie möglich, um einen möglichst großen Schnaufer Paris in mir mitzunehmen. Einen Vorrat Aura. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Ich stieg in den Zug, und der fuhr auch gleich ab.
    (EIN Wort zu den Schreibmaschinen. Auf jedem meiner Tische stand eine. In jedem Zimmer eine andere, irgendwo trieb ich immer eine auf. Remington, Continental. Da standen sie, schwarz, immer schwarz. Ich glaube nicht, dass ich je auf ihnen schrieb, auf keiner von ihnen. Vielleicht, wenn ich es doch tat, ohne Papier, und die Maschinen verdauten

Weitere Kostenlose Bücher