Reisen im Skriptorium
Tag aus dem Fenster schauen kann, bin ich gezwungen, mich auf die aktuelle Aufgabe zu konzentrieren. Wichtig ist allein, dass ich mich von dem Colonel nicht verrückt machen lasse, dass ich jeden Gedanken an ihn aus meinem Kopf verbanne und die Tatsachen so aufzeichne, wie ich sie kenne. Was er mit diesem Bericht anfangen will, ist ausschließlich seine Entscheidung, auf die ich absolut keinen Einfluss habe. Ich kann nur eins tun: die Geschichte erzählen. Angesichts der Geschichte, die ich zu erzählen habe, wird das schwierig genug.
Mr. Blank unterbricht die Lektüre, um seine Augen auszuruhen, fährt sich mit den Fingern durchs Haar und grübelt über die Bedeutung der Worte nach, die er soeben gelesen hat. Als er an den gescheiterten Versuchdes Erzählers denkt, zum Fenster hinaufzusteigen und hinauszusehen, erinnert er sich plötzlich an sein eigenes Fenster, beziehungsweise genauer: an die Jalousie vor seinem Fenster, und da er jetzt über die Mittel verfügt, dorthin zu gelangen, ohne aufstehen zu müssen, fasst er den Entschluss, jetzt sofort die Jalousie hochzuziehen und einen Blick nach draußen zu werfen. Wenn er seine Umgebung sondieren kann, kommt vielleicht irgendeine Erinnerung, die ihm erklärt, warum er sich in diesem Raum befindet; womöglich verhilft ihm schon der bloße Anblick eines Baums, der Dachkante eines Gebäudes oder eines Stücks Himmel zum Verständnis seiner Lage. Er gibt daher seine Lektüre fürs Erste auf und schiebt sich zu der Wand mit dem Fenster. Als er sein Ziel erreicht hat, streckt er die rechte Hand aus, packt den unteren Rand der Jalousie und zieht ihn mit einem Ruck nach unten, in der Hoffnung, auf diese Weise die Feder zu lösen, sodass die Jalousie nach oben schnappt. Die ist jedoch alt und hat ihre Spannkraft verloren, und statt hochzuschnurren und das Fenster dahinter freizugeben, sackt sie noch weiter ab, bis über das Fensterbrett hinaus. Frustriert von diesem Fehlschlag, zerrt Mr. Blank beim zweiten Versuch heftiger und länger an der Jalousie, und auf einmal, einfach so, verhält sie sich wie eine anständige Jalousie und rollt sich bis an die Oberkante des Fensters auf.
Man stelle sich Mr. Blanks Enttäuschung vor, als er durchs Fenster späht und bemerken muss, dass die Lädengeschlossen sind und keinen Blick nach draußen gestatten. Es handelt sich nicht um klassische Holzläden mit beweglichen Lamellen, die ein wenig Licht in den Raum einlassen würden, sondern um starke, absolut blickdichte Metallplatten, deren stumpfgrauer Anstrich bereits an mehreren Stellen Rostfraß aufweist. Langsam erholt sich Mr. Blank von dem Schock und begreift, dass die Situation gar nicht so entsetzlich ist, wie er angenommen hat. Die Läden sind von innen verriegelt, und um mit den Fingern an den Riegel heranzukommen, muss er lediglich das Schiebefenster bis zum Anschlag nach oben drücken. Und wenn er dann den Riegel zurückgeschoben hat, kann er die Läden aufstoßen und einen Blick in die Welt da draußen werfen. Er weiß, um die für eine solche Operation nötige Hebelkraft aufzubringen, wird er sich von seinem Stuhl erheben müssen, aber das scheint ihm ein geringer Preis zu sein, und so stemmt er sich aus dem Sitz, prüft nach, ob das Fenster nicht verschlossen ist (das ist der Fall), setzt die Ballen beider Hände an den oberen Teil des Fensterrahmens, hält kurz inne, um sich auf die bevorstehende Anstrengung vorzubereiten, und drückt dann mit aller Kraft. Überraschenderweise rührt sich das Fenster nicht. Mr. Blank lässt die Arme sinken, holt Luft und versucht es noch einmal – mit demselben negativen Ergebnis. Er vermutet, dass das Fenster sich irgendwie verklemmt hat – entweder aufgrund zu hoher Luftfeuchtigkeit oder weil ein Überschuss an Farbe den oberen und unterenTeil des Fensters ungewollt miteinander verklebt hat –, aber dann entdeckt er bei genauerer Untersuchung des Rahmens etwas, das ihm bis dahin entgangen ist. Zwei dicke Zimmermannsnägel, fast unsichtbar, weil ihre Köpfe übermalt sind, sind in den oberen Balken des Rahmens geschlagen. Ein dicker Nagel links, ein dicker Nagel rechts, und da Mr. Blank weiß, dass es ihm nicht möglich sein wird, diese Nägel aus dem Holz zu ziehen, weiß er auch, dass sich das Fenster nicht öffnen lässt – nicht jetzt, erkennt er, nicht später, niemals, unter keinen Umständen.
Endlich hat er einen Beweis. Jemand, vielleicht mehrere, hat oder haben ihn in diesen Raum eingeschlossen und
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