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Reisen im Skriptorium

Reisen im Skriptorium

Titel: Reisen im Skriptorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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hält oder halten ihn hier gegen seinen Willen gefangen. Jedenfalls schließt er das aus den zwei in den Fensterrahmen geschlagenen Nägeln, aber so erdrückend dieser Beweis auch sein mag, bleibt doch immer noch die Tür, und solange Mr.   Blank nicht nachsieht, ob die Tür von außen verschlossen ist, falls sie denn überhaupt verschlossen ist, kann sein Schluss genauso gut auch falsch sein. Wenn er klar dächte, würde er sich als nächstes zur Tür begeben – gehen oder rollen – und die Sache sofort klären. Aber Mr.   Blank rührt sich nicht von seinem Platz am Fenster, und zwar aus dem schlichten Grund, dass er Angst hat, solche Angst vor dem, was ihn die Untersuchung der Tür lehren könnte, dass er sich nicht dazu aufraffen kann, die Konfrontation mit der Wahrheit zu riskieren. Stattdessen lässt er sich wiederauf den Stuhl sinken und beschließt, das Fenster einzuschlagen. Denn ob eingeschlossen oder nicht: vor allem will er wissen, wo er ist. Er denkt an den Mann in dem Typoskript, das er gelesen hat, und fragt sich, ob auch er am Ende nach draußen geholt und erschossen wird. Oder, eine noch unheimlichere Vorstellung, ob er nicht gleich hier in diesem Raum ermordet werden soll, erwürgt von den kräftigen Händen irgendeines brutalen Schurken.
    Es sind keine stumpfen Gegenstände in der Nähe. Keine Hämmer zum Beispiel, keine Besenstiele oder Schaufeln, keine Hacken oder Rammböcke, und daher weiß Mr.   Blank schon, bevor er auch nur anfängt, dass seine Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind. Dennoch unternimmt er einen Versuch, denn er empfindet nicht nur Angst, sondern auch Wut, und in seiner Wut streift er seinen rechten Tennisschuh ab, umschließt die Spitze fest mit der Rechten und beginnt mit dem Absatz an das Glas zu schlagen. Ein normales Fenster mag unter einer solchen Attacke vielleicht nachgeben, aber hier handelt es sich um ein doppelverglastes Thermofenster der stärksten Sorte, das kaum ins Zittern gerät, als der alte Mann mit seinem kläglichen Werkzeug aus Gummi und Leinwand dagegen hämmert. Nach einundzwanzig Schlägen gibt Mr.   Blank auf und lässt den Schuh zu Boden fallen. Wütend und frustriert zugleich, und um dem Fenster nicht das letzte Wort zu lassen, schlägt er mehrmals mit der Faust an das Glas, aber Fleisch und Knocheneignen sich ebenso wenig wie der Schuh, es zu zertrümmern. Er fragt sich, ob er es nicht mit dem Schädel einrennen könnte, aber wenngleich sein Verstand längst nicht so klar arbeitet, wie er sollte, ist Mr.   Blank doch noch so weit bei Sinnen, dass er die Torheit des Unterfangens einsieht, für einen schier aussichtlosen Versuch eine ernsthafte Verletzung zu riskieren. Schweren Herzens lässt er sich auf den Stuhl fallen und schließt die Augen – nicht nur verängstigt, nicht nur wütend, sondern auch noch erschöpft.
    Kaum hat er die Augen geschlossen, sieht er die Schattenwesen durch seinen Kopf marschieren. Eine lange, schwach beleuchtete Prozession von Dutzenden, wenn nicht Hunderten Gestalten, sowohl Männer als auch Frauen, sowohl Kinder als auch alte Leute, nicht nur große, sondern auch kleine, nicht nur dicke, sondern auch schlanke, und als Mr.   Blank angestrengt in sich hineinhorcht, vernimmt er nicht nur das Geräusch ihrer Schritte, sondern zusätzlich etwas, das er mit einem Stöhnen vergleichen würde, einem beinahe unhörbaren kollektiven Stöhnen, das sich aus ihrer Mitte erhebt. Wo sie sind und wohin sie gehen, kann er nicht sagen, aber sie scheinen über irgendeine vergessene Weide zu wandern, ein Niemandsland aus dürrem Gestrüpp und nackter Erde, und da es so dunkel ist und alle diese Gestalten sich mit gesenktem Kopf voranbewegen, kann Mr.   Blank ihre Gesichter nicht erkennen, kein einziges. Er weiß lediglich, dass ihn schon der Anblickdieser Chimären mit Furcht erfüllt, und wieder wird er von einem unerbittlichen Schuldgefühl überwältigt. Er vermutet, es handelt sich bei diesen Leuten um die, die er im Lauf der Jahre mit irgendwelchen Aufträgen losgeschickt hat, und dass es, wie es bei Anna der Fall war, manchen von ihnen oder vielen von ihnen oder ihnen allen vielleicht nicht besonders gut ergangen war, wenn nicht gar so schlecht, dass sie unerträgliches Leid auszuhalten und/​oder den Tod zu erleiden hatten.
    Nichts von alledem kann Mr.   Blank mit Sicherheit sagen, aber er hält es für möglich, dass zwischen diesen Schattenwesen und den Fotografien auf dem Schreibtisch ein Zusammenhang besteht. Was,

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