Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
Nadel war weniger träge, da sie sich vom magnetischen Pol entfernte; freilich drehte sie sich, als dieser magnetische Punkt überschritten war, nach diesem um, und zeigte also für die nach Norden Wandernden jetzt eigentlich den Süden an; aber dieses verkehrte Anzeigen machte ja keine beschwerliche Rechnung nothwendig.
Uebrigens ersann der Doctor noch ein sehr einfaches Mittel zur Bestimmung der Richtung, welches das häufige Beobachten der Boussole unnöthig machte; war ihre Lage einmal festgestellt, so suchten sie bei heiterem Wetter einen genau nördlichen, zwei bis drei Meilen entfernten Punkt; auf diesen gingen sie zu, bis er erreicht war, und bestimmten von da aus einen neuen ebenso belegenen Punkt. So wichen sie gewiß nur wenig von dem geraden Wege ab.
Während der ersten beiden Reisetage legte man immer zwanzig Meilen in zwölf Stunden zurück; die übrige Zeit wurde den Mahlzeiten und der Ruhe gewidmet; zum Schutz während des Schlafes erwies sich das Zelt als ausreichend.
Die Temperatur hob sich dann und wann; stellenweise schmolz der Schnee, je nach der Art des Bodens, während andere Stellen ihre fleckenlose Weiße bewahrten, da und dort bildeten sich große Wasserflächen, manchmal wahre Teiche, welche mit etwas Phantasie wohl für Seen zu halten waren; sie mußten manchmal mit dem halben Bein im Wasser gehen, worüber sie nur lachten; ja der Doctor war über diese unerwarteten Bäder ganz glücklich.
»Dem Wasser ist’s gleichwohl nicht verstattet, uns in diesen Ländern zu durchnässen, sagte er; hier hat es nur in festem oder gasförmigem Zustande Rechte; sein flüssiger Zustand ist ein Mißbrauch. Eis oder Dampf, ganz schön, aber Wasser, nie!«
Unterwegs wurde auch die Jagd nicht vernachlässigt, denn sie mußte frische Nahrungsmittel liefern; dazu durchstreiften Altamont und Bell, ohne sich zu weit zu entfernen, die Nachbarschaft; sie schossen Schneehühner, Taucherhühner, Gänse, einige graue Hasen u. dergl.; diese Thiere kamen übrigens bald von dem ersten Zutrauen zurück und wurden furchtsam; sie flohen scheu, und nu schwer konnte man sich ihnen nähern. Ohne Duk wären die Jäger häufig um ihr Pulver betrogen gewesen.
Hatteras befahl ihnen, sich nicht weiter, als eine Meile zu entfernen, denn er hatte keinen Tag, ja keine Stunde zu verlieren, da auf mehr als drei Monate geeigneter Witterung nicht zu rechnen war.
Außerdem mußte Jeder dem Schlitten nahe zur Hand sein, wenn eine schwierige Stelle, eine enge Schlucht oder starkgeneigte Ebenen zu passiren waren; dann spannte oder stemmte sich Jeder an den Schlitten, ihn ziehend, schiebend oder stützend; mehr als einmal mußte man ihn ganz entladen, und auch das verhinderte noch nicht alle Stöße und in Folge dessen Beschädigungen, welche Bell nach besten Kräften ausbesserte.
Am dritten Tage, Mittwochs den 26. Juni, stießen die Reisenden auf einen See von mehreren Morgen Landes Ausdehnung, der in Folge seiner vor der Sonne geschützten Lage noch vollständig mit Eis bedeckt war; dieses zeigte sich auch stark genug, das Gewicht der Reisenden und des Schlittens zu tragen. Dieses Eis schien schon von einem früheren Winter herzurühren, denn in Folge seiner Lage konnte dieser See nie aufthauen. Es war ein compacter Spiegel, dem die arktischen Sommer Nichts anhaben konnten; was diese Ansicht noch bestätigte, war der trockene Schnee, der seine Ufer einrahmte, und dessen untere Schichten offenbar früheren Jahren angehörten.
Von diesem Punkte aus ward das Land merklich niedriger, woraus der Doctor den Schluß zog, daß es gegen Norden sich nicht allzuweit erstrecken dürfte; es wurde immer wahrscheinlicher, daß Neu-Amerika nur eine Insel sei, welche sich nicht bis zum Pol ausdehnte. Nach und nach slachte sich das Land mehr ab; kaum waren noch im Westen einige theils in der Entfernung, theils in einem bläulichen Nebel verschwindende Hügel sichtbar.
Bis hierher war die Expedition ohne Ermüdung verlaufen, die Reisenden litten höchstens durch die von dem Schnee zurückgeworfenen Sonnenstrahlen; durch diesen Reflex konnten sie der Schnee-Blindheit 1 kaum entgehen. Zu anderer Jahreszeit wären sie während der Nacht gereist, um diesem Uebelstande zu entgehen, jetzt aber gab es ja keine Nacht. Glücklicher Weise neigte sich der Schnee zum Schmelzen, und verlor so, wenn er im Begriff war, in Wasser überzugehen, viel von seinem Glanze.
Am 28. Juni hob sich die Temperatur bis auf fünfundvierzig Grad über Null (+
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