Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
hin, und allmälig fand sich der Schlaf ein, ihre müden Augenlider zu schließen.
Hatteras hatte Wache zu halten! Er faßte das Steuer; der Doctor, Altamont, Johnson und Bell schliefen, auf die Bänke gelagert, einer nach dem andern ein, und waren bald in’s Reich der Träume versenkt.
Ein plötzlicher Borealsturm. (S. 470.)
Hatteras bemühte sich, dem Schlaf zu widerstehen; er wollte nichts von dieser kostbaren Zeit verlieren; aber die langsame Bewegung der Schaluppe wiegte ihn allmälig ein, und er sank trotz aller Anstrengung in unwiderstehlich bewältigenden Schlummer.
Inzwischen kam das Fahrzeug kaum vorwärts; der Wind vermochte das ausgespannte Segel nicht zu schwellen. In der Ferne warfen einige unbewegliche Eisblöcke im Westen die Lichtstrahlen zurück, und bildeten auf dem Ocean glühende Streifen.
Hatteras versank in Träume. In raschem Flug schweifte sein Gedanke über sein ganzes Dasein; er durchlief seine Lebensbahn mit der den Träumen eigenthümlichen Schnelligkeit, welche sich jeder Berechnung entzieht, dann warf er einen Rückblick über die letztverflossene Zeit, sein Winterlager, die Bai Victoria, das Fort Providence, das Doctors-House, das Auffinden des Amerikaners unter’m Eis.
Darauf kehrte er weiter in die Vergangenheit zurück; träumte von seinem Schiff, dem verbrannten Forward, seinen Genossen, den Verräthern, welche ihn im Stiche gelassen. Was war aus ihnen geworden? Er dachte an Shandon, an Wall, den brutalen Pen. Wo mochten sie jetzt sein? War es ihnen gelungen, über die Eisflächen bis zum Bassins-Meer zu dringen?
Sodann schweifte seine träumende Phantasie noch weiter hinauf zu seiner Abfahrt aus England, seinen früheren Fahrten, seinen mißlungenen Versuchen, seinen unglücklichen Erlebnissen. Da vergaß er seinen gegenwärtige Lage, sein nahes Gelingen, seine schon halbverwirklichten Hoffnungen. Aus der Freude verfiel er in Besorgnisse.
In solchen Träumen lag er zwei Stunden lang, dann führte ihn der Schwung seiner Gedanken wieder dem Pol zu, wie er endlich dieses englische Land betreten und die Flagge des Vereinigten Königreichs aufpflanzen sollte.
Während er so in träumendem Schlummer lag, stieg am Horizont ungeheures, olivengraues Gewölk auf und verdüsterte den Ocean.
Man kann sich kaum eine Vorstellung machen, wie blitzschnell in den arktischen Meeren die Orkane entstehen. Wenn die in den Gegenden des Aequators entstandenen Dünste über den unermeßlichen Eisflächen sich verdichten, strömen die zu ihrem Ersatz dienenden Luftmassen mit unwiderstehlicher Gewalt heran. Daraus erklärt sich das energische Auftreten der Polarstürme.
Beim ersten Windstoß raffte sich der Kapitän mit seinen Genossen aus dem Schlaf auf, zum Manövriren bereit.
Die Wellen thürmten sich hoch auf schwach entwickelter Basis; die Schaluppe, von heftigem Wogendrang hin-und hergeworfen, sank bald in tiefe Wasserschlünde hinab, bald schwebte sie oben auf spitzen Wellen in Winkeln von mehr als fünfundvierzig Grad geneigt.
Hatteras ergriff mit fester Hand das Steuer, das aber mitunter in Folge heftigen Gierschlags ihn zurückwarf und wider Willen krümmte. Johnson und Bell waren unablässig bemüht, das in die Schaluppe gedrungene Wasser wieder hinaus zu schaffen.
»Eines solchen Sturmes hatten wir uns doch nicht versehen, sagte Altamont, an seine Bank sich klammernd.
– Hier muß man auf Alles gefaßt sein«, erwiderte der Doctor.
So sprachen sie mitten unter’m Zischen der Luft und dem Getöse der Wellen, welche vom Sturm gepeitscht in Staub zerstoben; es wurde fast unmöglich sich zu verstehen.
Es war schwer, die nördliche Richtung zu halten; die dichten Staubregen gestatteten kaum einige Klafter weit den Blick über das Meer; jedes Merkzeichen verschwand.
Dieser plötzliche Sturm im Moment, wo man sich am Ziele sehen konnte, schien ernste Mahnungen zu enthalten; er erschien den aufgeregten Gemüthern wie ein Verbot, weiter vorzudringen. Wollte die Natur den Zugang zum Pol verwehren?
Doch sah man das energische Antlitz dieser Männer, so begriff man, daß sie Sturm und Wogen zu trotzen verstanden, um bis an’s Ende auszuhalten.
So kämpften sie den ganzen Tag lang, jeden Augenblick dem Tode trotzend, ohne weiter nördlich zu kommen, aber auch nicht zurückgeworfen, vom Regen durchnäßt und von entgegenspritzenden Wellen triefend; durch die pfeifenden Lüfte vernahm man unheimliches Vogelgeschrei.
Endlich, gegen sechs Uhr Abends, legte sich plötzlich der
Weitere Kostenlose Bücher