Reisen und Abenteuer des Kapitän Hatteras
des Zoologischen Gartens.
Welche Schönheit, welche Mannigfaltigkeit, welche Machtfülle in der Natur! Wie erschien Alles seltsam und wunderbar im Innern dieser Polgegenden!
Die Luft war von übernatürlicher Reinheit; man hätte sagen können, sie sei mit Sauerstoff überladen; mit Wonnegefühlen sogen die Seefahrer diese Luft ein, die ihnen eine größere Lebenswärme eingoß; ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, unterlagen sie einem schnelleren Verbrennungsprocesse, von dem man keine auch nur abgeschwächte Beschreibung geben kann; ihre geistigen Functionen, ebenso wie die der Verdauung und der Athmung, vollzogen sich mit übermenschlicher Energie; Gedanken entwickelte ihr überreiztes Gehirn bis in’s Ungeheuerliche: in einer Stunde lebten sie das Leben eines ganzen Tages.
Mitten unter diesen staunenerregenden Wundern wiegte sich die Schaluppe friedlich bei mäßigem Winde.
Gegen Abend verloren Hatteras und seine Gefährten Neu-Amerika aus dem Gesicht. Die Stunden der Nacht schlugen wohl für die gemäßigten Zonen nicht anders, als für diese polaren; hier aber beschrieb die Sonne in immer weiteren Kreisen eine dem Umkreise des Meeres ganz parallele Bahn. Die von den schiefen Strahlen beschienene Schaluppe konnte diesen Mittelpunkt des Lichtes, der mit ihr fortrückte, nicht verlassen.
Dennoch fühlten die lebenden Wesen der hochnördlichen Regionen den Abend kommen, ebenso als ob das strahlende Gestirn unter den Horizont versunken wäre; Vögel, Fische und Wale verschwanden. Wohin? Wer könnte es sagen? Aber auf ihr Geschrei, Gepfeife, auf das Erschüttern der durch das Athmen der Seeungeheuer bewegten Wogen folgte bald eine schweigende Ruhe; die Wellen schliefen unter kaum fühlbarem Auf-und Niedersteigen ein, und die Nacht gewann trotz der Strahlen der Sonne ihren Frieden ausstreuenden Einfluß.
Seit der Abfahrt von Altamont-Harbour hatte die Schaluppe einen Breitegrad nach Norden zurückgelegt; am andern Tage erschien auch noch Nichts am Horizont; weder jene hohen Bergspitzen, welche schon von fern das Land melden, noch jene besonderen Zeichen, aus denen die Seefahrer die Nähe von Inseln oder Continenten schließen.
Der Wind blieb gut, ohne stark zu sein; das Meer war wenig unruhig; die Begleitung von Vögeln und Fischen erschien ebenso wie am Tage vorher; der Doctor, der sich nach dem Wasser hinauslehnte, konnte sehen, wie die Wale ihre tiefen Zufluchtsstätten verließen und allmälig zur Meeresoberfläche aufstiegen. Einige Eisberge und hier und da verstreute einzelne Schollen unterbrachen allein die ungeheure Eintönigkeit des Oceans.
Im Ganzen war das Eis selten und konnte den Lauf des Schiffes nicht hindern; es sei hier bemerkt, daß die Schaluppe sich zehn Grad oberhalb des Kältepoles befand, und bezüglich der Linien gleicher Temperatur – Isothermen – war das dasselbe, als ob sie zehn Grad unterhalb desselben gewesen wäre.
Das Polarbecken als Fischbehälter. (S. 462.)
Es war demnach gar nicht zu verwundern, daß das Meer um diese Jahreszeit offen war, wie es etwa so in der Linie der Bai Disko im Bassins-Meere sein mußte. Ein Schiff würde da also während der Sommermonate freie Fahrt gehabt haben.
Diese Beobachtung ist von großem praktischen Werthe; wenn die Wallfischfänger wirklich einmal, sei es vom Norden Amerikas oder Asiens aus, bis in das Polarbecken vorzudringen vermögen, können sie sicher sein, dort sehr bald eine volle Ladung zu bekommen; denn dieser Theil des Oceans scheint der Fischkasten der Erde, der Hauptaufenthaltsort der Wallfische, Robben und überhaupt aller Seethiere zu sein.
Zu Mittag fiel die Wasserlinie immer noch mit der des Himmels zusammen; der Doctor begann an dem Vorhandensein eines festen Landes in diesen hohen Breiten zu zweifeln.
Und doch, wenn er darüber näher nachdachte, war er fast gezwungen, an die Existenz eines solchen zu glauben. In den ersten Tagen der Erde nach
der Erkaltung ihrer Kruste mußte doch das durch den Niederschlag der in der Luft enthaltenen Dämpfe entstandene Wasser der Centrifugalkraft gehorchen und sich nach den Aequatorialgegenden hindrängen, woraus nothwendig das Emportauchen der dem Pole benachbarten Gegenden zu folgern ist.
Der Doctor fand diesen Schluß ganz richtig.
Und so erschien er auch Hatteras!
Immer suchten die Blicke des Kapitäns die Nebel am Horizont zu durchdringen. Das Fernrohr kam nicht mehr von seinen Augen weg. Aus der Farbe des Wassers, aus der Form der Wogen, aus dem Wehen
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