Reiterhof Birkenhain 03 - SOS Pferd verschwunden
Gelkissen, das zum Schutz vor Druckstellen unter den Sattel gelegt wurde. Der Frotteebezug! Klar! Rasch zog Jule den weißen Überzug von der blauen Gel-Unterlage herunter.
Sally, die ihre Nase tief im Gras hatte, linste zur Seite, als Jule mit ihrem Taschenmesser eine Naht des Bezugs auftrennte und ihn dann wie ein T-Shirt überstreifte. »Na , was denkst du, Mäuschen? Obercooles Shirt, was?« Jule konnte schon wieder scherzen. Sally grummelte ein bisschen, was wohl bedeuten sollte, dass man sich über nichts mehr wundern müsste, wenn Menschen jetzt schon anfingen Pferdesachen anzuziehen ...
Jule lachte. Das musste sie Conny für ihr Buch über die Pferdesprache erzählen. Gleich darauf hustete Jule trocken. Ihre Halsschmerzen meldeten sich wieder. Nun aber los mit dem Dachdecken! Bis heute Abend musste die Hütte dicht sein, sonst konnte sie keine zweite Nacht bleiben.
Und das Mädchen hatte jetzt auch eine Idee, wie die Löcher gestopft werden konnten.
Die Grasbüschel-Idee.
Der Einfall stammte eigentlich nicht von ihr, sondern von Bastian. Genauer gesagt aus einem Buch, das Bastian ihr geliehen hatte. Das Buch hieß »Leben in der Wildnis« und war gespickt mit Uberlebensregeln in der Natur. Jule hatte das Buch geradezu verschlungen. Klar, die Chancen, die Tipps in Hamburg anwenden zu können, waren verschwindend klein. Aber dafür brauchte sie die Kenntnisse ja auch nicht. Ihr großer Traum war eine Trekking-Tour durch Irland. Mit Zelten und Packpferden. Besser noch mit Sally.
Interessiert sah Sally zu, wie Jule anfing lange Grasbüschel auszureißen. Aber statt ihr, Sally, das saftige Grün auf der Handfläche anzubieten, formte Jule daraus kleine Bündel, die sie oben mit einem langen Halm zusammenband. Stück für Stück legte sie sorgfältig in einen breiten Korb.
Jule hatte sich an das Kapitel »Dachdecken« in dem Buch erinnert. Die ersten Dächer, unter denen Menschen lebten, bestanden aus Gras und Schilf.
»Was meinst du, Mäuschen«, fragte Jule ihre Stute, die neugierig an dem Korb schnupperte, »was Fred Feuerstein schaffte, werde ich doch wohl auch hinkriegen. Sind das hier nicht klasse Dachziegel?«
Sally war ganz anderer Ansicht. Für sie war Gras nur für eines gut: zum Fressen! Um Jule das zu beweisen, schnappte sie sich gleich zwei Grasbüschel und zerkaute sie.
»Halt! Doch nicht meine Ziegel!« Entrüstet zog Jule ihren Korb aus Sallys Reichweite. »Du hast doch die ganze Weide zum Fressen.«
Die braune Stute gab ein beleidigtes Prusten von sich und zog ab.
Nach einer Stunde hatte Jule einen großen Vorrat an Grasbüscheln gebunden. Für die Befestigung schnitt sie mit dem Taschenmesser dünne Weidenzweige ab und spitzte sie an den Enden an. Dann stieg sie mit ihrem Handwerkszeug die Leiter hoch, noch vorsichtiger als früher. Nicht ohne sich zu vergewissern, dass Sally diesmal hinten auf der Weide stand. Solange sie keine vorwitzige Pferdenase herunterstieß, behielt Jule als geschickte Reiterin natürlich ihr Gleichgewicht!
Am Dachrand beginnend, legte sie Grasbüschel für Grasbüschel schuppenförmig über die Latten. Mit den Weidenzweigen, die sie wie Haarnadeln bog, steckte sie )eden »Grasziegel« in den Ritzen fest. Schnell war der Inhalt des Korbes aufgebraucht. Also runter vom Dach, neues Gras zupfen, rauf aufs Dach.
Jule zählte nicht mit, wie oft sie mit neuen Grasbüscheln aufs Dach gestiegen war. Zehn-, fünfzehn- oder sogar zwanzigmal?
Bis zum späten Nachmittag gönnte sie sich keine Ruhe, denn dem Wetter war nicht zu trauen. Es war ein ständiges Wechselspiel aus Sonne, Wolken und Wind. Am Horizont, wo Großmoorstedt lag, sah es so dunkel aus, als ob es dort bereits regnete. Sie musste unbedingt vor dem nächsten Schauer fertig sein!
Als das letzte Grasbündel an seinem Platz lag, fühlte Jule sich sogar zu schlapp, um die Leiter wieder zurückzulegen.
»Bin ich froh, dass du wenigstens versorgt bist«, rief sie Sally zu, die, ohne aufzublicken, graste. Drei Eimer mit Wasser standen noch bereit, außerdem hatte sich in der alten Tränke, einer weiß emaillierten Badewanne, etwas Regenwasser angesammelt. Nichts stand einer Pause im Wege.
Jule streifte ihre Reitstiefel mit Mühe ab und hockte sich auf den Schlafsack. Puh, wie dick ihre Beine angeschwollen waren. Zu ärgerlich, dass sie keine Schuhe eingepackt hatte! Dabei wusste sie doch, wie froh sie zu Hause jedes Mal war, wenn sie nach dem Reiten die engen Stiefel ausziehen konnte.
Jules Blick ging zur
Weitere Kostenlose Bücher