Reiterhof Birkenhain 05 - Strumnacht am Meer
den Hals. Weil sie gerade bei Stella den Sattelgurt nachzog, hatte sie einen Arm durch den Zügel gesteckt. So wurde das Fjordpferd mit in die Umarmung einbezogen.
»Papi...«, Ronja blies ein paar von Stellas Mähnenhaaren von ihrer Oberlippe, »du und Mami, ihr seid klasse.« Conny rief herüber: »Jetzt weiß man gar nicht, worauf man sich mehr freuen soll. Auf den Strand oder auf das Picknick.«
»Ein nach ein«, schmunzelte Herr Harms.
Das war Küstensprache und hieß »eins nach dem anderen«. Kurze Zeit später ritten sie vom Hof, versehen mit einigen reiterlichen Ermahnungen von Henning Harms und Kaijensen. AufWunschder beiden Reitlehrer sollte Rike, die beste Reiterin, vorne reiten. Auf Ankum, dem schwarzen Friesen.
Jule war zuerst enttäuscht, denn zu Hause ritt sie Ankum auch oft. Und gut. Aber Jensens Einwand »Er war noch nie am Strand, wer weiß, wie er sich benimmt?« war nicht von der Hand zu weisen. Außerdem kannte Rike die Strecke. Beides Argumente, die Jule letzten Endes überzeugten.
»Ich werde versuchen dich nicht dafür zu hassen, Rike Harms«, grummelte Jule, halb im Scherz.
Dann ritten sie los. Rike auf Ankum als Erste.
Im Schritt ging es zunächst ein Stück über die Deich Straße. Mit gespitzten Ohren und wachen Augen musterte der Friese die neue Umgebung.
Hinter ihm trottete Santana mit Luisa im Sattel.
Das zehnjährige Mädchen war froh, dass die anderen so aufgekratzt waren. So fiel ihr Schweigen niemandem auf. Luisas Kehle war nämlich wie zugeschnürt. Um ehrlich zu sein - sie hatte ein bisschen Angst. Nein, ziemlich viel Angst.
Tausend Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf. Würde es gut gehen mit Santana? Sie hatte mal gehört, dass Pferde an langen Stränden kaum zu stoppen sind. Und wenn Santana buckelte? Und sie abwarf? Vor die Hufe der anderen? Nein, bloß nicht daran denken. Davon wurde ihr nur noch schlechter. Jasmins Lieblingssatz fiel ihr ein: »Ich glaube, ich muss brechen.«
Auf jeden Fall, das stand für Luisa fest, würde ihr auf dem Nachhauseweg tausendmal wohler sein.
Hinter sich hörte Luisa ihre Freundinnen Conny und Jule lachen. Dachten die nie an so etwas? Anscheinend nicht. Kunststück, die saßen ja auch auf Oie und Kalle. Fjordies gelten als besonders trittsicher. Andererseits -losfetzen konnten die beiden auch ...
Den Schluss bildeten Ronja und Rike auf Stella und Stiena. Die Fjordpferde-Stuten waren schon oft an der Nordsee entlanggebrettert! Ronja und Rita hatten sicher genauso wenig Angst wie Jule und Conny.
Luisa seufzte und beschloss niemandem von ihrer Furcht zu erzählen.
Sonnenstrahlen brachten das taunasse Gras neben der Straße zum Glitzern. Der frühe Montagmorgen wirkte wie frisch gewaschen. Außer dem gleichmäßigen Hufgetrappel und ein paar hin- und hergeworfenen Worten herrschte Stille. Santana streckte den Kopf vor und schnaubte entspannt.
Allmählich beruhigte sich Luisas Magen. Alles schien ruhig und friedlich. Bisher spürte man kaum etwas vom Seewind, weil sie im Schutz des Deiches ritten.
Erst als sie auf einen Pfad abbogen, der durch flache Wiesen führte, blies ihnen der Nordwestwind vom Meer entgegen. Sofort meldete sich Luisas mulmiges Gefühl wieder.
Der Weg führte direkt zum Strand.
Möwen segelten über den Reiterinnen und zankten sich in der Luft mit lautem Geschrei. Das Donnern der Brandung nahm zu. Selbst heute - bei ruhiger See - hörte man es laut und deutlich.
Luisa spielte mit dem Gedanken umzukehren. Noch war es möglich. Noch hatte sie Santana unter Kontrolle. Andererseits - Luisa brannte auch darauf, diesen unvergesslichen Galopp zu erleben, entlang der Brandung. Und jetzt war es auch schon zu spät...
»Bereitet euch darauf vor, dass die Pferde am Strand sofort losfetzen«, rief Rike nach hinten. »Und haltet die Zügel nicht zu kurz. Sonst buckeln sie bloß ...«
Noch führen hundert Meter durch feinen Sand. Viel zu tief, um hier zu galoppieren. Noch gehen die Pferde im Schritt. Aber Ankum, der Erste, hebt bereits aufmerksam den Kopf. Mit großen Augen fixiert er das Meer, aufgeregt schnaubend. Die Pferde hinter ihm lassen sich von seiner Vorfreude anstecken. Sogar die drei erfahrenen »Seepferde« der Familie Harms, aber noch mehr Oie und Kalle vom Reiterhof Birkenhain.
Die Vierbeiner wittern es - gleich können sie sich austoben. Nur noch ein paar Meter.
Wo die Brandungswelle sich überschlägt, wo der feste Sand anfängt, dessen Wellenmuster von Ebbe und Flut geprägt ist - da winkt die
Weitere Kostenlose Bücher