Reiterhof Birkenhain 05 - Strumnacht am Meer
Anna und Rahel, die sich die Bootstour so gewünscht hatten, wären auf dem Motorschiff »Armin Beier« fast nicht dabei gewesen. Durch eigene Schuld. Beim abendlichen Füttern hatten sie auf einer der großen Strohrollen »Seehund-Dressur« gespielt. Ihr Lieblingsspiel, aber streng verboten. Bei dem Zirkuskunststück stand man oben auf der riesigen Rolle. Mit Fußtritten und Trippelschritten versuchte man das schwere Ding vorwärts zu bewegen.
Beide Seehunde fielen dabei auf die Stallgasse und schrammten sich die Knie blutig.
»Ihr könnt froh sein, dass nicht mehr passiert ist«, wetterte Herr Harms, aber es klang nachsichtig.
Zum Glück ließ sich der Dressurunfall mit Desinfektionssalbe aus der Stallapotheke und zwei Heftpflastern beinahe beheben. Antje Harms spendierte die begehrten Pflaster mit Pferdeköpfen.
»Brutal gut«, fand Anna.
Ob es an den Pferdebildern lag, dass die Schürfwunden bis Mittwochmorgen fast abgeheilt waren?
Die Betreuerinnen hatten alle Hände voll zu tun, um die aufgeregte Mädchenbande vor dem Bus zu bändigen. Astrid und Franzi behielten trotzdem den Überblick. Für sie gehörte die Mittwochsfahrt zum Kutter nach Büsum zum gewohnten Ferienprogramm.
»Nein, nicht einfach einsteigen.«
Franziska hielt Aline am Ärmel fest, die hinter Geraldine die Stufen hinaufstieg. »Erst muss ich eure Namen auf der Liste abhaken.«
Sie machte zwei Striche hinter die Namen und ließ Aline los.
»Jetzt könnt ihr.«
Noch einmal kontrollierte Franzi die Liste und guckte dann in den Innenraum des Busses.
»Aha, das 3-S-Zimmer ist schon drin. Dachte ich mir doch.«
Sarah, Sophie und Sandra saßen nebeneinander gequetscht auf einem Zweiersitz. Die drei hingen unzertrennlich zusammen wie Kletten in einem Pferdeschweif.
Endlich hatten alle ihren Platz. Antje Harms und Kai Jensen stiegen in letzter Minute dazu.
»Wird auch Zeit«, sagte Astrid nach einem Blick auf die Uhr. »Um elf Uhr legt der Kahn ab.«
Direkt am Hafen spuckte der Bus die lachende Mädchenmeute wieder aus. Der rotweiße Kutter ankerte direkt vor ihrer Nase. Bunte Dreiecks-Wimpel knatterten auf der »Armin Beier« im Wind. Ein blaues Sonnendach spannte sich über lange Holzbänke an Deck. »Moin, moin«, rief ein braun gebrannter Mann mit blauer Schirmmütze den Mädchen von Bord zu. »Dann wollen wir mal unser Mittagessen aus der See fischen, was?«
Eine schmale Gangway, mit Tauen als Geländer, lag zwischen Kaimauer und Boot.
Jasmin wurde aschfahl, als sie beim Drübergehen nach unten schielte. Tief unter ihr schwappte schwarz das Wasser gegen die Hafenmauer. Das Mädchen stockte kurz, ließ sich aber von den anderen an Bord schieben.
Bootsführer Armin Beier, der sich als »Käpt'n Seebär« vorstellte, verkündete, dass sie heute einen etwas anderen Kurs nehmen müssten.
»Da hat sich mal wieder ein Wal vor die Küste verirrt«, sagte er und gab dem Hafenarbeiter an Land ein Zeichen, die Gangway einzuholen. »Die von Greenpeace wollen ihn zurück ins Meer treiben.«
»Ein Wal?« Conny sprang von ihrer Bank auf. »Hier?« Das durfte sie sich nicht entgehen lassen. Sie, die große Naturfreundin. Zu Hause half Conny beim Kranichschutz, legte Krötenwege an und kümmerte sich um Fledermäuse. Natürlich war sie auch Vegetarierin. Über ihre Lippen kam nicht ein Gramm Fleisch. Keine Salami-Pizza. Auch kein Hamburger und keine Spagetti mit Hacksoße. Ja, sie ging sogar so weit, dass sie jedem Tierquälerei vorwarf, der sich einem Steakhaus auf zehn Pferdelängen näherte.
Conny nahm den Umwelt- und Tierschutz sehr ernst. Und nun ein leibhaftiger Wal . . . das war das absolut Größte für sie.
Der Kutter musste ohne sie fahren.
»Halt, nicht wegnehmen!« Mit erhobenen Armen machte Conny den Mann an der Gangway auf sich aufmerksam. »Ich will wieder runter vom Schiff.«
Fragend sah der Arbeiter zu den Erwachsenen an der Reling hinüber. Nach kurzem Wortwechsel zwischen Antje Harms, dem Kapitän und Kai Jensen sagte Herr Jensen seufzend zu Conny: »Also gut, Mücke. Ausnahmsweise. Du bist ja vernünftig. Und von dem Wal können dich ja wohl keine zehn Pferde fern halten.« Und als Conny schon loslief: »Aber pünktlich um eins bist du wieder hier am Ankerplatz. Halt - du bleibst hier!«
Seine letzten Worte galten Jasmin. Wie ein geölter Blitz sauste die hinter Conny her und hielt erst an, als sie wieder auf festem Boden stand.
»Wenn es wackelt, muss ich brechen«, rief Jasmin Herrn Jensen zu, erleichtert, dem
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