Reiterhof Birkenhain 06 - Rettung in letzter Minute
dass der Reiterhof sich am Dienstag in einen Hafen verwandelte. Bilder von Surfboards und Schiffen, die über Nacht in vielen Köpfen herumspukten, hatten die Mädchen auf neue Ideen gebracht.
Am Dienstagmorgen sah der überflutete Reiterhof aus, als ob dort ein Schulprojekt mit dem Thema lief. »Die verschiedenen Fahrzeuge der Binnenschifffahrt.«
Am Birkenweg standen einige geparkte Autos hintereinander. Von den Gepäckträgern luden die Väter der Reitermädchen Kajaks und Stechpaddel ab, Gummiboote und Surfbretter. Die Gerlach-Zwillinge hievten ein kleines Floß vom Wagendach, zusammengebunden aus Stämmen und Tauen.
Alberne Kommandos flogen hin und her. Trotz der frühen Uhrzeit herrschte eine Superstimmung, ausge-lassen wie auf einem Sportfest. Gejohle und Lachen begleiteten jedes Ablade-Manöver, weil dabei immer etwas schief ging.
Mit einem Wort: Es war so laut, dass Kai Jensen in seiner Dachwohnung aufmerksam wurde, als er gerade Kaffee kochen wollte. In einer Hand die Filtertüte, in der anderen den Messlöffel, lehnte er sich aus dem Fenster. Verdutzt sah er seinen Reitermädchen nach, wie sie ihre Sportgeräte auf den Schultern zum Wasser herunterschleppten.
Statt der gewohnten Reithosen trugen die Gerlach-Zwil-linge und einige andere Mädchen weiße und blaue Segelkleidung, darüber orangefarbene Rettungswesten. Jule und Amelie hatten ihre schwarzen Surfanzüge an und platschten mit breiten Neoprenschuhen über den Hof. Conny lief in der grünen Wathose ihres Vaters herum.
Während Herr Jensen sich in seiner Küche noch darüber ärgerte, dass er gar keinen Kaffee kochen konnte, weil der Strom abgestellt war, kletterten Jule und Amelie schon auf ihre Surfbretter und die Zwillinge auf ihr Floß. Jules Segel hing lahm am Mast. Amelies auch. Kein Wunder, es rührte sich kein Lüftchen. Jule konnte den Gabelbaum noch so heftig vor und zurück bewegen -sie kam nicht vorwärts, trieb nur ein bisschen im Wasser herum. Die Gerlach-Zwillinge stießen sich mit zwei langen Stecken vom Erdboden ab und glitten auf ihrem Floß schneller voran.
»Raum«, schrie Mia-Mathilde, als sie Jule in der Nähe des versunkenen Weidezauns überholen wollte. »Mach Platz, Jule Ahrend, oder wir rammen dich.«
Jule ärgerte sich schwarz, dass sie nicht von der Stelle kam. Triumphierend blitzten Mia-Mathilde und Dina-Dorothee sie an, als die beiden auf dem Floß an ihr vorbeizogen.
Ungeduldig wedelte Jule mit ihrem Segel, um künstlich Wind zu erzeugen. Knack! Da hing sie mit der Finne, die unten aus dem Surfbrett herausragte, im Zaun fest. Und - knack - Amelies Finne scheiterte ein Stück weiter am Holunderstrauch.
Stallbesitzer Jensen erschien mit hohen Gummistiefeln auf dem Hof. Nachdenklich betrachtete er die Mädchen in den Kajaks und Schlauchbooten. Sein Blick wanderte zu den gestrandeten Surferinnen hinüber.
»Das ist hier einfach nicht tief genug«, rief Jule ihm zu.
»Ja, stimmt genau.« Amelie pflichtete ihr von dem unfreiwilligen Ankerplatz am Holunder bei. »Die Finne verklemmt sich ständig. Das Wasser müsste noch steigen.«
Einen Moment lang blieb Kai Jensen die Spucke weg. Dann schrie er zurück: »Sind hier alle verrückt geworden? Das ist ein Reiterhof und kein Wassersportgelände.«
Er drehte sich um und machte, dass er vom Hof wegkam. Das wollte er sich nicht länger antun. Er konnte weinen, wenn er die schmutzigen Wogen sah. An den überfluteten Wiesen war nun wirklich nichts komisch. Ohne seinen Morgenkaffee fand Kai Jensen ohnehin selten etwas lustig...
Andererseits, dachte er, warum sollten die Mädchen nicht ihren Spaß haben? Im Moment ließ sich gar nichts für den Stall tun. Weshalb also nicht Boot fahren?
Jensen ging um das Gebäude herum. Da die Stalltür zum Hof mit Sandsäcken verbarrikadiert war, kam er nur durch die vordere Eingangstür in den Stall hinein.
Mit einer Taschenlampe leuchtete er die Wände und Boden ab. Obwohl die Boxen vorhin noch trocken ausgesehen hatten, mussten regelmäßige Kontrollen sein. Denn: »Das Bollwerk vor der Tür ist nicht hundertprozentig dicht«, hatte Benno gewarnt. »Sandsäcke lassen immer etwas Wasser durch.«
Die Feuerwehr kam heute später als sonst. In der Frühe wollten A. und B. Weiß das Reh auf eine trockene Lichtung ins Naturschutzgebiet bringen.
Nach einem prüfenden Blick in die Sattelkammer verließ Kai Jensen den Stall wieder. Sorgfältig schloss er von außen ab. Wasser in den Boxen - das wäre entsetzlich. Schimmel würde sich im
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