Reizende Gäste: Roman (German Edition)
Schritte zu unternehmen, zu denen sie sich, das hatte sie sich geschworen, nie herablassen würde. Sie müßte sich eine eigene Wohnung suchen. Sich womöglich sogar nach einem Job umsehen. Fleur erschauerte, und sie reckte entschlossen ihr Kinn. Sie mußte Richard bloß ins Bett bekommen. Wenn sie das erst einmal erreicht hatte, war alles weitere ein Kinderspiel.
Als sie in die Great Portland Street einbogen, spürte Richard, wie Fleur ihn anstupste.
»Schau«, sagte sie leise. »Schau dir das an!«
Richard wandte sich um. Auf der anderen Straßenseite standen zwei Nonnen auf dem Bürgersteig, zwischen denen offensichtlich ein heftiger Streit entbrannt war.
»Also, Nonnen habe ich noch nie zuvor streiten sehen«, kicherte Fleur.
»Ich auch nicht, glaube ich.«
»Ich spreche mit ihnen!« meinte Fleur unvermittelt. »Warte hier!«
Erstaunt beobachtete Richard, wie Fleur die Straße überquerte. Einen kurzem Moment stand sie auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig, in ihrem scharlachroten Mantel eine lebenssprühende Gestalt, und redete auf die schwarzgekleideten Nonnen ein. Sie schienen zu nicken und zu lächeln. Dann kam sie über die Straße zu ihm zurück, und die Nonnen gingen in augenscheinlicher Harmonie davon.
»Was war denn los?« rief Richard aus. »Was im Himmel hast du ihnen gesagt?«
»Ich habe ihnen gesagt, daß Streit der Heiligen Jungfrau Maria Kummer bereitet.« Als sie Richards ungläubige Miene sah, feixte Fleur. »In Wirklichkeit habe ich ihnen erklärt, wie sie zur U-Bahnstation kommen.«
Richard lachte auf.
»Du bist eine bemerkenswerte Frau!«
»Ich weiß«, erwiderte Fleur selbstgefällig. Sie hakte sich wieder bei ihm unter, und sie gingen weiter. Richard starrte auf das blasse Frühlingssonnenlicht, das den Bürgersteig sprenkelte, und spürte, wie ihm das Herz im Leibe lachte. Er kannte diese Frau gerade einmal vier Wochen, und doch konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Wenn er mit ihr zusammen war, schienen langweilige Alltagsereignisse sich in eine Serie glänzender genußreicher Augenblicke zu verändern. Fleur schien sein Leben in ein Spiel zu verwandeln – weit entfernt von dem rigiden Labyrinth aus Regeln und Konventionen, an das Emily sich so unermüdlich gehalten hatte, nein, ein Glücksspiel; in dem der gewinnt, der wagt. Er ertappte sich dabei, wie er mit kindlicher Freude darauf wartete, was sie als nächstes sagen würde; mit welchem Vorhaben sie ihn überraschen würde. In den letzten vier Wochen hatte er mehr von London gesehen als je zuvor; mehr gelacht als je zuvor; mehr Geld ausgegeben, als er es seit langem getan hatte.
Häufig kehrten seine Gedanken zu Emily zurück, und Schuldgefühle überkamen ihn – weil er soviel Zeit mit Fleur verbrachte, weil er sich so amüsierte, weil er sie geküßt hatte. Und auch Gewissensbisse, daß sein ursprüngliches Motiv, Fleur zu treffen – um möglichst viel von Emilys verborgenen Charakterzügen in Erfahrung zu bringen –, inzwischen von dem Wunsch verdrängt worden war, einfach nur mit Fleur zusammenzusein. In seinen Träumen sah er manchmal Emilys Gesicht, blaß und vorwurfsvoll. Dann wachte er mitten in der Nacht auf, von Trauer übermannt und vor Scham schweißnaß. Aber bis zum Morgen war Emilys Bild wieder verblaßt, und all seine Gedanken galten Fleur.
»Sie ist hinreißend!« erklärte Lambert entrüstet.
»Ich hab’s dir doch gesagt!« versetzte Philippa. »Ist sie dir bei dem Gedenkgottesdienst denn nicht aufgefallen?«
Lambert zuckte die Achseln.
»Ich nehme an, ich fand sie ganz attraktiv. Aber … sieh sie dir doch nur an!« Sieh sie dir doch nur neben deinem Vater an! wollte er sagen.
Schweigend sahen sie zu, wie Fleur ihren scharlachroten Mantel ablegte. Darunter trug sie ein anliegendes schwarzes Kleid; sie wackelte ein bißchen mit dem Po und glättete es über ihren Hüften. Unvermittelt überkam Lambert zorniges Verlangen. Was zum Teufel machte solch eine Frau mit Richard, wenn er selbst Philippa am Hals hatte?
»Sie kommen«, sagte Philippa. »Hallo, Daddy!«
»Hallo, Darling.« Richard küßte sie. »Lambert.«
»Richard.«
»Und das ist Fleur.« Richard konnte nicht verhindern, daß sich auf seinem Gesicht ein stolzes Lächeln ausbreitete.
»Ich freue mich so, Sie kennenzulernen!« Mit einem warmen Lächeln streckte Fleur Philippa die Hand entgegen. Nach einem kurzen Zögern ergriff Philippa sie. »Und Lambert, natürlich, wir haben uns ja schon
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