Reizende Gäste: Roman (German Edition)
die Gläser reichte. »Ein Jahr Führerscheinentzug! Und er war bloß ein klitzekleines bißchen über der Grenze! Ich meine, wer von uns war nicht schon einmal ein kleines bißchen darüber?«
»Ich.« Ohne davon zu trinken, stellte Fleur ihr Glas ab. »Ich fahre nämlich nicht Auto.«
Um sie herum erhob sich Gemurmel. Wie konnte es sein, daß Fleur nicht Auto fuhr? Wie schaffte sie das? Was war mit den Fahrten zur Schule? Der Einkauferei?
»Ich nehme an, Sie haben einen Chauffeur, stimmt’s, Fleur?«
»Manchmal«, erwiderte Fleur.
Unwillkürlich erinnerte Fleur sich daran, wie sie in Dubai hinter dem Fahrer ihres Vater gesessen hatte, sich aus dem Fenster zur staubigen Straße hinausgelehnt hatte und man ihr auf arabisch befohlen hatte, stillzusitzen. Sie waren an dem Goldsouk vorbeigefahren. Wohin waren sie unterwegs? Fleur konnte sich nicht erinnern.
»So, sind wir nun alle soweit?« Eleanors schrille Stimme riß Fleur aus ihren Gedanken. »Ich fange mit den Broschen an. Sind die nicht spaßig?«
Sie hielt eine goldene Schildkröte und eine mit Diamanten besetzte Spinne hoch und begann zu reden. Fleur guckte höflich nach vorn. Doch die Worte fluteten über sie hinweg. Statt dessen stieg, ungebeten, Vergangenheit in ihr hoch. Sie saß mit Nura el Hassan zusammen, und sie kicherten. Nura war in helle Seide gekleidet; ihre kleinen, braunen Hände hielten eine Perlenschnur. Diese war ein Geschenk; ein Geschenk zum neunten Geburtstag. Sie hatte sie Fleur um den Hals gelegt, und beide hatten sie gekichert. Fleur hatte die Perlen nicht laut bewundert. Wenn sie das getan hätte, dann wäre Nura verpflichtet gewesen, Fleur die Perlen zu schenken, denn so wollte es der Brauch. Also hatte Fleur einfach nur erst Nura und dann die Perlen angelächelt, um Nura wissen zu lassen, daß sie sie sehr hübsch fand. Fleur wußte über Nuras Bräuche besser Bescheid als über die eigenen. Sie hatte nie etwas anderes gekannt.
Fleur war in Dubai geboren worden, als Kind einer Mutter, die sechs Monate darauf mit ihrem Lover nach Südafrika verschwand, und eines deutlich älteren Vaters, der glaubte, man erzöge ein Kind, indem man es mit Geld überschüttete. In der veränderlichen, entwurzelten Welt der Auslandsengländer, die in Dubai lebten, lernte Fleur, Freunde so schnell zu verlieren, wie man sie gewann; am Anfang eines neuen Schuljahres an der britischen Schule einen Neuzugang zu begrüßen und am Ende zu verabschieden; Leute für die kurze Zeitdauer, die sie hatte, zu benutzen – und sie dann fallenzulassen, ehe sie fallengelassen wurde. Die ganze Zeit über war Nura die einzig beständige Freundin gewesen. Viele islamische Familien erlaubten nicht, daß die christliche – in Wirklichkeit heidnische – Fleur mit ihren Kindern spielte. Aber Nuras Mutter bewunderte den hübschen, frechen kleinen Rotschopf; bemitleidete den Geschäftsmann, der eine Tochter großziehen und gleichzeitig einer anspruchsvollen Arbeit nachgehen mußte.
Und dann, als Fleur gerade mal sechzehn war, erlag ihr Vater vermutlich einem Leberinfarkt. Überraschenderweise hinterließ er ihr nur eine kleine Summe, und das Geld reichte nicht, um weiterhin in der luxuriösen Wohnung zu wohnen; reichte auch nicht, um weiterhin die britische Schule zu besuchen. Freundlicherweise nahm die Familie el Hassan Fleur bei sich auf, während über ihre Zukunft entschieden wurde. Einige Monate lang schliefen Nura und Fleur in nebeneinanderliegenden Zimmern. Sie kamen sich so nahe wie nie; verglichen sich ständig und diskutierten darüber. Mit ihren sechzehn Jahren betrachtete man Nura als heiratsfähig; ihre Eltern waren dabei, eine gute Heirat zu arrangieren. Fleur war bei dem Gedanken abwechselnd erschreckt und fasziniert.
»Wie hältst du das nur aus?« fragte sie entsetzt. »Wie kannst du jemanden heiraten, der dich bloß herumkommandiert?« Nura zuckte nur die Achseln und lächelte. Sie war ein bemerkenswert hübsches Mädchen mit glatter Haut, lebhaften Augen und rundlichen Zügen, die bereits zur Drallheit neigten.
»Wenn er zu herrschsüchtig ist, dann heirate ich ihn einfach nicht«, hatte sie einmal gesagt.
»Zwingen dich deine Eltern denn nicht dazu?«
»Natürlich nicht. Sie stellen ihn mir vor, und dann reden wir darüber.«
Fleur starrte sie an. Mit einemmal stieg Neid in ihr hoch. Vor Nura lag ein angenehm geplantes Leben, während ihr eigenes wie ein zerstörtes Spinnennetz unsicher vor ihr schwang.
»Vielleicht könnte ich auch heiraten,
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