Reizende Gäste: Roman (German Edition)
Pflichtgefühl als Gastgeberin appelliert hatte. Anscheinend wurde der Großteil von Gillians Leben von Pflichtgefühl regiert – eine Auffassung, die Fleur völlig fremd war.
Sie trank einen Schluck Kaffee, schloß die Augen und genoß das Gefühl der Sonne auf ihrem Gesicht. Das Frühstück war vorüber; bis auf sie war der Wintergarten nun leer. Richard war zu einer Unterredung mit seinem Rechtsanwalt aufgebrochen; wenn er zurückkam, wollte er mit Lambert eine Runde Golf spielen und mit irgend jemandem etwas Geschäftliches besprechen. Antony war unterwegs und machte, wie sie annahm, was Teenager eben so machten. Gillian war oben und überwachte die Zugehfrau. Überwachung – eine weitere Vorstellung, die Fleur fremd war. Entweder verrichtete man eine Aufgabe selbst, dachte sie, oder man überließ sie anderen und kümmerte sich weiter nicht darum. Aber sie war halt auch schon immer träge gewesen. Und sie wurde immer träger. Zu träge.
Jäh bekam sie Gewissensbisse. Sie wohnte jetzt seit vier Wochen in Richard Favours Haus. Seit vier Wochen! Und was hatte sie in dieser Zeit erreicht? Nichts. Nach dem ersten Attentat auf sein Arbeitszimmer hatte sie die Geldfrage einfach aus ihren Gedanken verdrängt; hatte sich ein sonnenbeschienenes Dasein gegönnt, in dem ein Tag in den nächsten überging, und mit einemmal war sie vier Wochen älter. Vier Wochen älter und keinen Penny reicher. Nicht einmal mehr in die Nähe des Arbeitszimmers hatte sie sich begeben. Wer weiß, vielleicht war es unverriegelt und bis obenhin voller ungemünztem Gold.
»Ich gäbe was für deine Gedanken«, sagte Gillian, die in der Tür zum Wintergarten erschien.
»Da müßtest du ganz schön was hinblättern«, entgegnete Fleur vergnügt.
Zweifelnd betrachtete sie Gillians Kleidung. Sie trug ein mandarinenfarbiges Kleid mit einem abscheulichen, verspielten Ausschnitt, und Fleurs Schal war geradewegs darüberdrapiert. Fleurs blauer Schal. Kein Tag verging, ohne daß Gillian diesen Schal trug, und zwar stets genau so, wie Fleur es ihr gezeigt hatte – egal was sie sonst dazu anhatte. Eigentlich hätte Fleur sich geschmeichelt fühlen müssen, doch statt dessen irritierte sie es immer mehr. Gab es keine andere Möglichkeit, als diese Frau mit einem Schal in jeder Farbe zu versorgen?
»Wir gehen dann besser bald los«, sagte Gillian. »Ich weiß nicht, wie es sich gehört. Vielleicht erscheinen auch alle zu spät. Weil’s Mode ist.« Sie versuchte ein kleines Lachen.
»Zuspätkommen ist out«, erwiderte Fleur träge. »Obwohl ich mir vorstellen könnte, daß es in Surrey immer noch in ist.«
Heute nachmittag, dachte sie im stillen. Heute nachmittag würde sie es noch einmal versuchen. Vielleicht, während Richard auf dem Golfplatz war. Sie könnte Gillian vorschlagen, einen Kuchen zu backen, und sie so in der Küche halten. Und vielleicht käme sie noch auf irgendeinen Grund, warum sie sich Richards Schlüssel borgen müßte. Sie wäre drinnen und wieder draußen, noch ehe sich jemand wunderte, wo sie steckte.
»Ich weiß nicht, wer dort sein wird«, sagte Gillian. »Ich bin noch nie bei so etwas gewesen.«
Gillian schien ungewöhnlich redselig zu sein, dachte Fleur. Sie hob den Blick, und Gillian erwiderte ihn flehend. Mein Gott, sie ist nervös, dachte Fleur. Ich bin die Betrügerin, und sie ist nervös.
Sie hatten vor, Eleanor Forrester zum Brunch zu besuchen und den Schmuck anzuschauen, den Eleanor mit großem Erfolg verkaufte, wann immer sich ihr die Gelegenheit dazu bot. Offensichtlich hatte Gillian noch nie zuvor an einem von Eleanors Brunchs teilgenommen. Wenn man zwischen den Zeilen las, dachte Fleur, dann war Gillian nie zuvor dazu eingeladen worden.
Als Eleanor sie gefragt hatte, ob sie kommen wolle, hätte Fleur am liebsten abgelehnt. Doch dann hatte sie Richards entzückendes Lächeln gesehen, und sie hatte sich ihre eigenen Richtlinien in Erinnerung gerufen. Wenn ein Mann lächelt, tu es wieder; wenn er wieder lächelt, hör nicht auf.
»Natürlich«, hatte sie gesagt und rasch einen Blick auf Gillians steife, abgewandte Wange geworfen. »Wir kommen gerne, stimmt’s, Gillian?« Danach hatte sie nicht gewußt, worüber sie sich mehr amüsieren sollte, über den verlegenen Ausdruck auf Gillians Gesicht oder den unbehaglichen von Eleanor Forrester.
Gillian trat von einem Fuß auf den anderen und fingerte nervös an ihrem Schal herum. Fleur erhob sich, wenn auch nur um des Schals willen.
»Okay. Dann gehen wir doch
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