Reizende Gäste: Roman (German Edition)
sich in den Vordergrund gespielt, war an Richards Seite entlanggetänzelt, als befände sie sich auf einer Teeparty, hatte die Unterhaltung unterbrochen, um endlose Fragen zu stellen, und benahm sich insgesamt so, als habe sie das gleiche Recht dort zu sein wie Lambert. Verdammte, unverschämte Schlampe.
Plötzlich erinnerte Lambert sich an die Bemerkung eines ehemaligen Lehrers. Ich bin total für die Gleichheit der Frauen … sie sind den Männern alle gleich unterlegen! In der ausgewählten Gruppe älterer Schüler, die der alte Smithers zum Sherry eingeladen hatte, hatte man in sich hineingelacht. Lambert hatte besonders laut gegluckst, denn er und Old Smithers hatten schon immer den gleichen Sinn für Humor gehabt. Nun hellte sich seine Miene etwas auf; alte Erinnerungen stiegen in ihm hoch. Einen Moment wünschte er sich tatsächlich, wieder Schüler zu sein.
Den Umstand, daß er die glücklichsten und erfolgreichsten Jahre seines Lebens auf der Schule verbracht hatte, gestand Lambert sich selten ein. Er hatte Creighton besucht – eine kleinere Public School in den Midlands – und hatte sich zu seiner Überraschung zu einem der gescheitesten, stärksten und mächtigsten Jungen der Schule entwickelt. Als geborener Schlägertyp hatte er bald ein unterwürfiges Gefolge um sich geschart, mit dem zusammen er jüngere Schüler milde terrorisierte und in der Meute die Burschen aus dem Ort verhöhnte. Die Schüler in Creighton waren zum Großteil pures Mittelmaß, die in ihrem Leben nie mehr den überlegenen Status erlangen würden, der ihnen in dieser kleinen Stadt eingeräumt wurde. Daher nützten sie ihn nach Kräften aus, stolzierten im Ort in ihren unverwechselbaren Mänteln und farbenprächtigen Krawatten umher, brüllten lauthals herum und versuchten, sich mit den ansässigen Buben anzulegen. Nur selten hatte Lambert tatsächlich selber mitgerauft, doch war er als Urheber einer großen Anzahl von abfälligen Bemerkungen über den »Plebs« bekannt geworden, womit er sich schließlich den Ruf einer geistreichen Person eingehandelt hatte. Die Lehrer – selbst engstirnig, gelangweilt und vom Leben enttäuscht – hatten ihn nicht etwa gerügt, sondern ihn in seiner überheblichen Art stillschweigend bestärkt. Lamberts schüchterne Mutter war entzückt über ihren hochgewachsenen, selbstbewußten Sohn mit der lauten Stimme und den freimütigen Ansichten, die, als er das letzte Schuljahr erreicht hatte, fast jeden in Creighton abfällig bedachten und fast jeden außerhalb Creightons auch.
Sein Vater war die einzige Ausnahme. Lambert hatte seinen Vater immer vergöttert – einen großen, großspurig auftretenden Mann mit einer herrischen Art, die Lambert unbewußt nach wie vor imitierte. In seiner Launenhaftigkeit war sein Vater unberechenbar gewesen, und Lambert hatte stets verzweifelt um seine Anerkennung gekämpft. Wenn sein Vater sich über das schwabbelige Gesicht des jungen Lamberts lustig machte oder ihm einen zu festen Schlag auf den Kopf verpaßte, dann zwang Lambert sich, zurückzugrinsen und zu lachen. Wenn er den ganzen Abend damit verbrachte, Lamberts Mutter anzuschnauzen, dann schlich Lambert in sein Zimmer hoch und redete sich zornig ein, daß sein Vater recht hätte; sein Vater hatte immer recht.
Lamberts Vater war es auch gewesen, der darauf bestand, daß Lambert, wie er selbst es getan hatte, die Schule in Creighton besuchte. Der ihm beibrachte, die anderen Jungs im Dorf zu verspotten; der einen Tag mit ihm nach Cambridge fuhr und ihm stolz sein altes College zeigte. Sein Vater, glaubte Lambert, der wußte was von der Welt; der sorgte sich um seine Zukunft; der würde ihn durchs Leben leiten.
Und dann, als Lambert fünfzehn war, verkündete sein Vater, daß er eine Geliebte habe, daß er sie liebe und daß er Frau und Sohn verlassen werde. Er behauptete, er würde Lambert besuchen kommen; was er aber nie tat. Später hörten sie, daß seine Beziehung zu seiner Geliebten nur ein halbes Jahr gehalten hatte; daß er sich ins Ausland abgesetzt hatte; daß niemand wußte, wo er sich aufhielt.
Erfüllt von einem verzweifelten, pubertären Kummer, hatte Lambert seinen Zorn an seiner Mutter ausgelassen. Es war ihre Schuld, daß der Vater sie verlassen hatte. Es war ihre Schuld, daß kein Geld für eine Urlaubsreise da war; daß an den Direktor von Creighton Briefe geschrieben werden mußten, in denen man um eine Ermäßigung der Schulgebühren bat. Je mehr sich ihre Situation verschlechterte, um
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